Trümmer einer Stadt.

Der Erste Weltkrieg

Die Folgen des Ersten Weltkriegs

Nach 1918 verschwanden gleich zwei Großreiche von der Weltkarte. Die Folgen davon beschäftigen die Welt bis heute.

Von Frank Drescher

Der Versailler Vertrag von 1919 sorgte bei vielen Deutschen für ein Gefühl tiefster Demütigung. Er wies dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die alleinige Kriegsschuld zu. Die Folgen für das Reich waren harte Wiedergutmachungszahlungen und Gebietsverluste.

Doch die sogenannten "Pariser Vorortverträge" kosteten Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich die Existenz. Aus den beiden Vielvölkerreichen entstanden viele Nachfolgestaaten. Die willkürlichen Grenzziehungen von damals sind bis heute Ursache für Spannungen und Konflikte.

Karte: Österreich-Ungarn vor dem 1. Weltkrieg (1914)

Österreich-Ungarn vor dem 1. Weltkrieg (1914)

Mitteleuropa

1919/20

Die Verträge von St. Germain mit Österreich 1919 und von Trianon mit Ungarn 1920 zerschlagen das Kaiser- und Königreich Österreich-Ungarn.

Seine Bruchstücke verteilen sich auf fünf andere Staaten, von denen drei neu entstehen, nämlich die Tschechoslowakei, das Königreich Jugoslawien und Polen. Österreich verliert außerdem Südtirol und seine Bewohner an Italien. Ungarn verliert die Mehrheit seines Gebiets und seiner Bevölkerung an mehrere Nachbarstaaten.

Kartenansicht: Österreich-Ungarn zerfiel nach dem 1. Weltkrieg (1923).

Österreich-Ungarn zerfiel nach dem 1. Weltkrieg (1923)

Heute

In Ungarn weihte Ministerpräsident Viktor Orbán 2020 das "Denkmal der nationalen Zusammengehörigkeit" ein, in das die Namen von mehr als 12.000 ungarischen Ortschaften außerhalb seiner heutigen Grenzen eingemeißelt sind.

Orbán beklagt die "ungarische Einsamkeit nach Trianon" und sehnt sich nach neuer Größe für Ungarn. Sofern er das geographisch meint, würde das auf Kosten Rumäniens, der Slowakei und Kroatiens gehen.

Denkmal der nationalen Zusammengehörigkeit.

"Das Denkmal der nationalen Zusammengehörigkeit" soll an die Gebietsverluste Ungarns erinnern

In Südtirol verübten bis in die 1960er-Jahre deutschsprachige Separatisten Bombenanschläge. Sie wehrten sich gegen die Unterdrückung der deutschen Sprache und die gezielte Ansiedlung von Süditalienern. Erst eine weitreichende Autonomie Südtirols mit Anerkennung der deutschen Sprache befriedete die Lage.

Südosteuropa

1918–23

Vom Osmanischen Reich war 1918 nur noch ein Gebiet in Zentralanatolien übrig. 120 Jahre zuvor hatte es noch weite Teile Südosteuropas, Arabiens und Nordafrikas umfasst.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte es als Gegner der späteren Entente-Mächte Großbritannien, Frankreich und Russland bereits große Gebietsverluste erlitten. In Europa waren aus ihm Griechenland, Rumänien, Serbien und Bulgarien als unabhängige Staaten entstanden.

Kartenansicht :Das Osmanische Reich vor dem 1. Weltkrieg 1914.

Das Osmanische Reich vor dem 1. Weltkrieg 1914

Im Vertrag von Sèvres legten die Siegermächte 1920 fest, dass das Osmanische Reich nur noch aus dem zentralanatolischen Rest bestehen sollte.

Entente-Partner Griechenland, bereits 1828 aus dem Osmanischen Reich herausgelöst, sollte mit Thrakien fast den ganzen europäischen Rest des Reiches erhalten und auf asiatischer Seite Teile Westanatoliens. In Europa wäre dem Osmanischen Reich nur die Hauptstadt Konstantinopel/Istanbul und ihr Umland geblieben.

Während der osmanische Sultan Mehmed VI. im besetzten Konstantinopel unter Protest zustimmte, betrachtete in Ankara die türkische Nationalbewegung um Mustafa Kemal, dem späteren "Atatürk", diese Zustimmung als Verrat. Griechenland nutzte die Gelegenheit für einen Krieg in Thrakien und in Westanatolien, verlor aber 1922.

Soldaten der UN-Friedenstruppen.

Noch immer sind UN-Friedenstruppen in Zypern stationiert

Im 1923 geschlossenen Lausanner Friedensvertrag vereinbarten die Türkei und Griechenland einen Bevölkerungsaustausch: Muslime in Griechenland galten nun sogar dann als Türken, wenn ihre Muttersprache Griechisch war, türkisch sprechende orthodoxe Christen galten fortan als Griechen.

Der Vertrag von Lausanne legte auch die heute noch gültigen Grenzen der Türkei fest. Die musste dafür die Eroberung Zyperns durch Großbritannien anerkennen. Zypern wurde 1925 zur britischen Kronkolonie.

Heute

Auf Zypern sind immer noch UN-Friedenstruppen erforderlich, denn nach der Unabhängigkeit 1960 brach ein Konflikt zwischen den auf der Insel lebenden Griechen und Türken aus. Der führte 1974 zu einer Invasion türkischer Truppen, zu Enteignungen und Zwangsumsiedlungen.

Die griechischen Inseln (Dardanellen) vor der türkischen Ägäis-Küste bieten den Nato-Partnern Türkei und Griechenland immer wieder Anlass zu Streit und Provokationen.

Massive Proteste gegen Deutschland gab es 2016 in der Türkei nach der Armenien-Resolution des Bundestages. Darin verurteilt Deutschland die Verbrechen des Osmanischen Reichs an den Armeniern als Völkermord, die das Deutsche Kaiserreich 1915/16 bei seinem Verbündeten in Kauf nahm.

Kartenansicht: Nachfolgestaaten des ehemaligen Osmanischen Reichs und der Nahe Osten 1923

Nachfolgestaaten des ehemaligen Osmanischen Reichs und der Nahe Osten 1923

Naher Osten

1917–20

Im Kampf gegen das Osmanische Reich hatte Großbritannien einige Stammesführer auf der arabischen Halbinsel erfolgreich zur Revolte animiert. Sie hofften auf Unabhängigkeit.

Doch zugleich hatte Großbritannien mit Frankreich im geheimen Sykes-Picot-Abkommen die Aufteilung des Nahen Osten vereinbart: Das Gebiet der heutigen Staaten Israel, Jordanien, Irak und Kuweit sollte britisch werden, das des heutigen Syriens und des Libanons französisch. Frankreich und Großbritannien herrschten über diese Regionen ab 1920 als sogenannte "Mandatsmächte" des Völkerbundes.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich in Palästina Juden angesiedelt, die vor Verfolgung in Europa flohen. Ihnen hatte Großbritannien in der sogenannten Balfour-Deklaration von 1917 eine "Heimstätte" versprochen. Das führte zu Konflikten mit der arabischen Bevölkerung in Palästina, die 1918 erstmals gewaltsam dagegen aufbegehrte.

Im Vertrag von Sèvres sahen die Siegermächte noch ein kurdisches Autonomiegebiet im heutigen Südosten der Türkei vor. Der Vertrag trat aber nie in Kraft, weil ihn die türkischen Nationalisten nicht akzeptierten und bis 1922 gegen Griechenland und Armenien Krieg führten.

Nach ihrem Sieg hatten sie bei den Friedensverhandlungen in Lausanne eine deutlich bessere Verhandlungsposition. Verlierer Armenien saß nicht mehr mit am Verhandlungstisch. Und im 1923 geschlossenen Vertrag von Lausanne werden die Kurden nicht einmal mehr erwähnt.

Die Türkei musste mit diesem Vertrag trotzdem ihre Ansprüche an Ägypten zugunsten Großbritanniens und die an Libyen zugunsten Italiens aufgeben. Über die beiden nordafrikanischen Länder hatte das Osmanische Reich rund 400 Jahre lang geherrscht.

Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis.

Der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis wurde 1917 in der Balfour-Deklaration gelegt

Heute

Die gesamte Region ist auch nach mehr als 100 Jahren nicht zur Ruhe gekommen: In Syrien wütet seit 2011 ein Bürgerkrieg, den soziale, ethnische und konfessionelle Spaltungen im Land befeuern.

Israel konnte nach den Friedensschlüssen mit Ägypten 1979 und mit Jordanien 1994 zwar 2020 mit einer Reihe weiterer arabischer Staaten Frieden schließen, nicht jedoch mit seinen unmittelbaren Nachbarn Libanon und Syrien. Auch sein Konflikt mit den Palästinensern hat noch keine friedliche Lösung gefunden.

Im Nordirak konnten die Kurden nach dem Zweiten Golfkrieg 1991 mithilfe der USA eine autonome Region aufbauen, in der Krieg mit türkischen Truppen und mit den IS-Terroristen zum Alltag gehört.

Illustrierte Collage, in der Armenier von türkischen Nationalisten ermodet werden.

Um die 1,5 Millionen Armenier wurden 1915/16 von türkischen Nationalisten ermordet

Kaukasus

1915/22

Ab 1915 verübten türkische Nationalisten Massaker an Armeniern, obwohl sie zu einem der seit langem im Osmanischen Reich lebenden Völker gehörten.

Im nordöstlichen Teil ihres Stammlands im Südkaukasus hatten sich die Armenier im 19. Jahrhundert der osmanischen Fremdherrschaft mithilfe Russlands entziehen können.

Ansprüche erhob Armenien aber auch auf die westlichen Siedlungsgebiete der Armenier im Nordosten des heutigen Anatolien, die noch im Osmanischen Reich geblieben waren. Zudem lebten viele Armenier längst auch in den noch weiter westlich gelegenen Provinzen des Osmanischen Reichs und in seiner Hauptstadt Konstantinopel.

Türkische Nationalisten sahen in ihnen Unterstützer des Kriegsgegners Russlands. Sie töteten darum 1915/16 schätzungsweise 1,5 Millionen von ihnen.

Protest gegen die armenische Besetzung des aserbaidschanischen Teils von Berg-Karabach (2016).

Protest gegen die armenische Besetzung des aserbaidschanischen Teils von Berg-Karabach (2016)

Nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs 1917 erklärten sich Georgien, Armenien und Aserbaidschan für unabhängig von Russland. Armenien und Aserbaidschan kämpften sogleich um das auch von christlichen Armeniern besiedelte, aber im Laufe der Jahrhunderte nacheinander von verschiedenen muslimischen Völkern beherrschte, Berg-Karabach.

Armenien saß 1920 in Sèvres mit am Verhandlungstisch gegen das Osmanische Reich und bekam den Osten Anatoliens zugesprochen, inklusive von Kurden besiedelter Gebiete, die ihrerseits auf ein Autonomiegebiet hofften.

1920 besetzte Armenien einen auch von Türken bewohnten Teil Georgiens, der bis 1878 zum Osmanischen Reich gehörte und danach ans Zarenreich gefallen war. Die Nationalisten in Ankara nahmen das zum Anlass für einen Krieg, den sie gewannen. Dabei zwangen sie Armenien zur Aufgabe seines Anspruchs auf Ostanatolien und brachten es unter den Einfluss Sowjetrusslands.

Durch Gründung einer "Transkaukasischen Sozialistischen Sowjetrepublik" versuchte Moskau, die Spannungen zwischen Armenien, Georgien und Aserbaidschan zu unterbinden.

Heute

Bereits während des Zerfalls der Sowjetunion 1988 flammte der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach wieder auf und führte 2020 erneut zum Krieg.

Quelle: SWR | Stand: 20.06.2021, 18:00 Uhr

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