Leben im Mittelalter

Einflussreiche Frauen im Mittelalter

Das europäische Mittelalter war von mächtigen Männern geprägt, die oft wenig vom weiblichen Geschlecht hielten. Doch es gab auch einige einflussreiche Frauen.

Von Christina Neuhaus

Das Mittelalter – eine Männerwelt

Frauen hatten im Mittelalter vor allem Aufgaben in der Familie zu erfüllen: Sie sollten Kinder gebären und versorgen und ihren Ehemann in jeglicher Hinsicht unterstützen.

Dennoch gab es Frauen, die erheblichen Einfluss erlangten: durch Eintritt ins Kloster oder an der Seite eines mächtigen Ehemannes.

Allerdings war das Mittelalter eine strenge Ständegesellschaft. So galt für Frauen wie für Männer: Chancen hatte nur, wer von Geburt an privilegiert war. Wer von niederem Stand war, arm und ohne mächtige Verwandte, dem blieben Aufstiegsmöglichkeiten meist versagt.

"Diejenigen, die Frauen aus Missgunst verleumdet haben, sind Kleingeister, die zahlreichen ihnen an Klugheit und Vornehmheit überlegenen Frauen begegnet sind. Sie reagierten darauf mit Schmerz und Unwillen, und so hat ihre große Missgunst sie dazu bewogen, allen Frauen Übles nachzusagen." So schreibt die Schriftstellerin Christine de Pizan (ca. 1364-1430), eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des Mittelalters, in ihrem Werk "Das Buch von der Stadt der Frauen".

Ein Ritter in blauer Rüstung steht in der Mitte von drei Frauen.

Frauen waren im Mittelalter dem Mann untergeordnet

Frauen in der Kirche

In der christlichen Kirche konnten Frauen nicht Priester werden. Alle geistlichen Ämter, für die die Priesterweihe Voraussetzung war, blieben ihnen verwehrt. Bischöfinnen gab es deshalb nicht, sondern nur Bischöfe. So ist es in der katholischen Kirche bis heute.

Trotzdem war gerade die Religion für Frauen eine gute Möglichkeit, sich etwas Selbstbestimmung und einen gewissen Einfluss zu verschaffen. Die meisten herausragenden weiblichen Persönlichkeiten des Mittelalters stammten aus Klöstern und Stiften.

In der damaligen Zeit konnten Frauen, die ihr Leben der Religion widmen wollten, entweder Nonne werden – also einem Orden beitreten und ins Kloster ziehen – oder sie konnten sich in ein so genanntes Stift begeben.

Diese zum Teil sehr wohlhabenden, religiösen Häuser waren zwar keinem Orden angeschlossen, dennoch gab es für die dort lebenden Frauen ähnliche Regeln wie für Nonnen. Stifte waren eine Alternative für Töchter aus reichen Adelsfamilien, für die (noch) kein standesgemäßer Ehepartner gefunden worden war.

Die Kloster- und Stiftsmauern trennten die Frauen von der Gesellschaft – vor allem von den Männern draußen. Diese Trennung bedeutet aber auch Freiraum und Schutz und für unverheirateten Frauen die Chance auf eine gute Versorgung.

Im Kloster oder Stift hatten sie Möglichkeiten, die ihnen in der Gesellschaft verwehrt blieben. Das begann mit der Bildung. Nonnen und Stiftsdamen lernten lesen und schreiben, da sie sich ja mit religiösen Texten befassen und diese oftmals auch vervielfältigen sollten.

Zudem konnten die Äbtissinnen, also die Leiterinnen der Klöster und Stifte, eigenverantwortlich Aufträge erteilen – zum Beispiel Klöster oder Kirchen bauen lassen, die manche Städte bis heute prägen.

Mittelalterliches Kloster

Die Klöster prägen bis heute das Bild einiger Städte

Zu den Klöstern und Stiften gehörten oft zahlreiche Ländereien. Die Äbtissinnen herrschten über die dort lebenden abhängigen Bauern und sprachen Recht. Das Stift Essen zum Beispiel besaß im heutigen Ruhrgebiet Ländereien zwischen Emscher und Ruhr mit rund 3000 Bauernhöfen.

Die Siedlung rund um das Stift erhielt im 13. Jahrhundert Stadtrechte und die Äbtissinnen stiegen zu Reichsfürstinnen auf. Damit waren sie nicht nur Landesherrinnen über das Reichsfürstentum Essen, sondern auch mit einem Sitz im Reichstag vertreten.

Die Befugnisse der Äbtissinnen waren mit der Macht männlicher Fürsten vergleichbar. Die Patrizier der Stadt Essen begehrten immer wieder gegen die weibliche Vorherrschaft auf, doch nicht zuletzt dank des Schutzes durch das Kaiserhaus konnten die Reichsfürstinnen ihre Macht lange halten.

Eine Nonne sitzt an einem Schreibtisch, liest aus einem Buch und hält einen Stift in der rechten Hand.

Im Kloster lernten die Nonnen lesen und schreiben

Bekannte religiöse Frauen – zwei Beispiele

Zu überregionaler Bekanntheit brachten es unter anderem Hrotsvit von Gandersheim und Hildegard von Bingen. Geboren im Jahr 1098, wurde Hildegard von ihren Eltern bereits als Achtjährige ins Kloster Disibodenberg gegeben. Sie wurde 80 oder 81 Jahre, was für mittelalterliche Verhältnisse sehr alt war. In ihrem langen Leben gründete und leitete sie ihr eigenes Kloster, verfasste medizinische Abhandlungen und komponierte Musik.

Zur religiösen Berühmtheit wurde sie vor allem durch ihre Visionen: Hildegard berichtete, traumartige Dinge zu hören und zu sehen, die sie als göttliche Eingebungen interpretierte. Der örtliche Bischof urteilte, die Visionen seien tatsächlich von Gott geschickt.

Hildegard von Bingen, Nonne und Ärztin (Todestag 17.09.1179)

WDR ZeitZeichen 17.09.2019 14:47 Min. Verfügbar bis 14.09.2099 WDR 5


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Hildegard ging bis ins hohe Alter auf Reisen und predigte vor ihren zahlreichen Anhängern. So wurden auch die Mächtigen ihrer Zeit auf sie aufmerksam: 1163 rief Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, sie als Beraterin an seinen Hof.

Viele erhaltene Briefe Hildegards zeigen, dass sie sich nicht scheute, mächtige Männer mit deutlichen Worten zu ermahnen. An Barbarossa schrieb sie zum Beispiel: "O König, es ist dringend notwendig, dass du in deinen Handlungen vorsichtig bist. [...] Gib acht, dass der höchste König [gemeint ist Gott] dich nicht zu Boden streckt wegen der Blindheit deiner Augen, die nicht richtig sehen, wie du das Zepter zum rechten Regieren in deiner Hand halten musst. Darauf hab acht: Sei so, dass die Gnade Gottes nicht in dir erlischt!"

Ein anderes Beispiel ist Hrotsvit (Roswitha) von Gandersheim, die um das Jahr 935 geboren wurde und nach 973 starb. Sie lebte im Stift Gandersheim und gilt als erste deutsche Dichterin. Sie war sehr gebildet und verfasste herausragende Dramen auf Lateinisch.

Auch als Historikerin tat sich Hrotsvit hervor. Im Stift unterstützte man sie in ihrer künstlerischen Tätigkeit, was zur damaligen Zeit höchst ungewöhnlich war. Dabei spielte vermutlich auch ihr Verbindung zum Herrscherhaus eine Rolle: Die Äbtissin des Stiftes Gandersheim, Geberga, war die Nichte von Kaiser Otto I. Obwohl es dafür keine eindeutigen Beweise gibt, geht man davon aus, dass diesem der Inhalt von Hrotsvits Dichtungen bekannt war.

Zu überregionaler Berühmtheit kam sie erst lange nach ihrem Tod, als Anfang des 16. Jahrhunderts ihre Werke wiederentdeckt und in gedruckter Form herausgegeben wurden.

Eine Bildpostkarte zeigt Hildegard von Bingen mit einem Heiligenschein und Feder und Papier in der Hand.

Hildegard von Bingen (1098-1179) schrieb medizinische Abhandlungen und komponierte Musik

An der Seite mächtiger Männer

Während Frauen sich in Klöstern und Stiften gerade wegen ihrer Ferne von der Männerwelt entfalten konnten, war auch ein ganz anderer Weg möglich: Frauen gelangten durch die Ehe zu Einfluss.

Im Mittelalter gab es ausschließlich arrangierte Ehen. Die Eheleute, insbesondere die Frauen, konnten bei der Wahl ihres Partners nicht mitreden. In adeligen Kreisen betrieb man so auch Politik: Man verheiratete seinen Sohn oder seine Tochter mit jemandem aus einer Familie, deren Gunst man sich sichern wollte.

Eine Frau, die mit einem König oder Fürsten verheiratet wurde, konnte die Geschicke seines Reiches mitbestimmen. Für gewöhnlich wurden die Frauen sehr jung verheiratet und überlebten daher ihre Ehemänner. Danach konnten sie über ihre Söhne das politische Geschehen beeinflussen.

Ein berühmtes Beispiel für den Erfolg indirekter weiblicher Macht ist Philippa von Hennegau. Sie heiratete 1329 Edward III., König von England und Wales. Dieser eroberte im August 1347 die Stadt Calais.

Seine Macht über das Gebiet wollte er mit der Hinrichtung von sechs einflussreichen Bürgern besiegeln. Der Überlieferung zufolge hatte Philippa, gerade hochschwanger, Mitleid mit den Männern und überzeugte ihren Mann, sie zu verschonen. Edward übergab seiner Frau die Verantwortung für die Männer. Sie ließ sie frei.

Philippa von Hennegau, Königin von England, steht mit Zepter und Krone vor einem Thron.

Phillipa von Hennegau nutzte ihren Einfluss beim Ehemann König Edward III

Frauen im Wirtschaftsleben

In der Regel übten Frauen die Berufe ihrer Männer aus. Wer mit einem Handwerker oder Tuchmacher verheiratet war, unterstützte den Mann bei der Arbeit. Es war auch üblich, dass Witwen die Geschäfte des Verstorbenen weiterführten.

Im Früh- und frühen Hochmittelalter konnten unverheiratete Frauen sich durchaus als Händlerin oder Handwerkerin den Lebensunterhalt selbst verdienen und Mitglied in den Gilden und Zünften werden. Davon wurden sie jedoch ab dem 16. Jahrhundert nach und nach ausgeschlossen.

Zu den Zünften, die noch im 17. Jahrhundert Frauen aufnahmen und in deren "Branche" vergleichsweise viele Frauen tätig waren, zählten die Garnmacher, Goldspinner, Seidenweber und die Seidenmacher.

Öffentliche Ämter in der Stadt blieben Frauen im Mittelalter grundsätzlich verwehrt. Sie konnten für gewöhnlich weder Gilden oder Zünfte anführen, noch eine Position im Stadtrat oder ähnlichen Gremien einnehmen.

Mittelalterlicher Druck: ein Mann und eine Frau beim Apfelpflücken

Frauen halfen dem Ehemann in seinem Gewerbe

(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 30.11.2023)

Quelle: WDR

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