Die Vorteile der Großeltern Planet Wissen 05.08.2022 04:02 Min. UT Verfügbar bis 27.03.2025 WDR

Familie im Wandel

Großeltern

Eine gute Beziehung bringt für Großeltern und Enkel Vorteile. Wie die gemeinsame Zeit gestaltet wird, hat auch Auswirkungen auf die Gesundheit.

Von Stefanie Uhrig

Gegenseitige Vorteile

Die meisten Großeltern empfinden ihre Rolle als wichtig und positiv. Gerade in einem Alter, in dem die Menschen in den Ruhestand eintreten, kann die Beziehung zu den Enkeln einen neuen Sinn geben.

"Im Erleben der Großeltern kommen verschiedene Aspekte zusammen", sagt Eva-Marie Kessler, Professorin für Gerontopsychologie an der Medical School Berlin. "Da ist zum Beispiel die Wertschätzung als lebenserfahrene, vielleicht sogar weise Person. Und das Gefühl, sich in gewisser Weise unsterblich zu machen, indem man sein Wissen und seine Werte weitergibt."

Auch eine Art Nostalgie kann aufkommen: Die ältere Generation wird daran erinnert, wie es in ihrer eigenen Kindheit war.

Möglicherweise kann es sogar die Lebenszeit verlängern, wenn man sich um die Enkel kümmert. Das legt die Auswertung von Daten nahe, die in der sogenannten Berliner Altersstudie zwischen 1990 und 2009 gesammelt wurden.

Demnach leben ältere Menschen länger, wenn sie andere unterstützen – ihre Kinder, ihre Enkel oder andere Menschen in ihrem sozialen Umfeld. Allerdings belegen die Analysen nur einen statistischen Zusammenhang und zeigen nicht Ursache und Wirkung auf, schränkt Professor Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ein.

Von gemeinsamer Zeit profitieren Großeltern und Enkel | Bildquelle: Imago/Panthermedia, imago stock

Die Enkel können ihre Großeltern unterstützen, indem sie ihnen mit technischen Geräten wie einem Handy oder dem Computer helfen. Umgekehrt sind die Großeltern oft eine große Stütze für die Kernfamilie.

Häufig springen sie in "Betreuungslücken" ein, erklärt Dr. Alexandra Langmeyer vom Deutschen Jugendinstitut e.V.. Etwa, wenn die Eltern länger arbeiten müssen als der Kindergarten geöffnet hat. Oder wenn ein Kind krank ist. Hinzu kommen finanzielle Hilfen.

Auch können Enkel bei ihren Großeltern eine andere Perspektive auf die Welt erleben und einen guten Umgang mit verschiedenen Generationen lernen.

Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung gegen ältere Menschen sind bei Jüngeren besonders selten zu finden, wenn sie eine gute Beziehung zu ihren Großeltern haben, zeigte 2019 eine Studie aus Belgien. Und Großeltern können ihren Enkeln enge Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie sein – und so etwa ein offenes Ohr haben, wenn es mit den Eltern gerade schwierig läuft.

Zeit mit den Enkeln steigert die Zufriedenheit | Bildquelle: imago/Panthermedia, imago stock

Demographische Veränderungen

Heutzutage verbringen Großeltern mehr gemeinsame Lebenszeit mit ihren Enkeln als noch vor rund 100 Jahren. Um 1900 erlebten Großmütter die Enkel im Durchschnitt 22 Jahre lang, bei Großvätern waren es nur etwa sieben Jahre. Für 1940 geborene Großmütter waren es immerhin 32 Jahre, für die Großväter 26 Jahre – so gleichen sich die Bedingungen für Frauen und Männer allmählich an.

Das liegt daran, dass sich die Lebenserwartung in Deutschland innerhalb des vergangenen Jahrhunderts fast verdoppelt hat.

So begleiten die Großeltern ihre Enkel oft bis in das Erwachsenenalter. Dadurch verändern sich die Beziehungen: Häufig besteht der Kontakt zwischen Großeltern und Enkeln unabhängig von den Eltern. Mit zunehmendem Alter der Großeltern nehmen auch die gesundheitlichen Probleme zu. Das wirkt sich ebenfalls auf die Beziehung aus: Wer unter gesundheitlichen Problemen leidet, kümmert sich seltener um die Enkel.

Allerdings werden in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern die Menschen erst später Großeltern als in Osteuropa und den USA. Das verkürzt die gemeinsame Zeit wiederum.

Großeltern haben heute länger etwas von ihren Enkeln als vor 100 Jahren | Bildquelle: imago/Westend61, imago stock

Wer sind eigentlich Großeltern?

Patchwork-Familien und Alleinerziehende lassen die Frage aufkommen, wer überhaupt als Großeltern bezeichnet wird. Müssen sie biologisch verwandt sein? "Wenn sie früh im Leben des Enkels auftauchen, macht es keinen so großen Unterschied, ob es die leiblichen oder nicht-verwandte Großeltern sind", sagt Alexandra Langmeyer.

Die meisten Studien in der Wissenschaft beschäftigen sich zwar hauptsächlich mit den biologischen Großeltern. Allerdings zeigte sich, dass Großeltern auch viel Energie und Ressourcen in nicht-verwandte Enkel stecken – wenn auch weniger als bei einem Verwandtschaftsverhältnis.

Die Wunschoma Planet Wissen 05.08.2022 02:42 Min. UT Verfügbar bis 27.03.2025 WDR

Unter leiblichen Großeltern gibt es ebenfalls Unterschiede in der Beziehung zu den Enkeln. "Die Großeltern mütterlicherseits sind meist enger an den Familien dran, besonders die Großmütter", so Alexandra Langmeyer.

Das liege möglicherweise daran, dass auch im heutigen Deutschland eher die Frauen für die Kinder zuständig sind. Mit Fragen rund um die Erziehung und Gesundheit wenden sie sich bevorzugt an ihre eigenen Mütter, solange sie zu ihnen ein gutes Verhältnis haben.

Entscheidend für die Großeltern-Enkel-Beziehung ist außerdem die räumliche Entfernung. Das bedeutet nicht, dass eine große Distanz unweigerlich ein schlechtes Verhältnis bewirkt. Doch es ist etwas anderes, ob man sich mindestens wöchentlich und in alltäglichen Situationen sieht, oder ob man beispielsweise Urlaube miteinander verbringt.

Doch warum kümmern sich Großeltern überhaupt um ihre Enkel? "Es gibt verschiedene Theorien auf evolutionärer, ökonomischer und soziologischer Ebene", sagt Ralph Hertwig. "Sehr wahrscheinlich liegen dieser Beziehung mehrere Motive zugrunde."

Patchworkfamilien: Großeltern müssen nicht verwandt sein | Bildquelle: mauritius images / Louis-Paul st-onge Lous /Alamy, All mauritius images

Früher war alles anders…

Die Vorstellungen davon, was Großeltern tun sollten und was man von ihnen erwarten konnte, entwickelten sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Damals war besonders der Großvater von Bedeutung, als eine Art strenger Lehrmeister für die Enkel. Dieses Bild veränderte sich zunehmend in die Richtung eines gutmütigen Geschichtenerzählers. Im 19. Jahrhundert bekam auch die Großmutter eine größere Bedeutung, vor allem als moralische Instanz der Familie.

Allerdings blieb die Vorstellung von Großeltern noch lange eher negativ behaftet. "Studien zu einzelnen Fällen drehten sich eher um problematische Einflüsse der Großeltern, wie das übermäßige Verwöhnen der Enkel", sagt Eva-Marie Kessler.

Zwar dürfen die Enkel auch heute noch manche Dinge bei den Großeltern, die bei den Eltern nicht erlaubt sind. Doch mittlerweile sieht man das oft mit einem wohlwollenden Augenzwinkern – wohl vor allem deshalb, weil die meisten Großeltern nicht als Erziehungspersonen agieren. So können sie eine harmonische, entspanntere Beziehung zu den Kindern führen.

Vom Lehrmeister zum Märchenerzähler: Opa-Sein im Wandel | Bildquelle: ddp/Robert Kneschke

Mehr oder weniger gesund?

Das Verhältnis zu den Enkeln kann sich auch auf die Gesundheit der Großeltern auswirken. Dabei ist es offenbar ausschlaggebend, wie sehr sie in die Erziehung und Betreuung der Kinder eingespannt sind, zeigen unterschiedliche Studien. Positive Effekte findet man besonders, wenn die Großeltern aushelfen, aber nicht vollständig für die Betreuung der Kinder verantwortlich sind.

Lieber sollten sie selbst bestimmen können, wie und wann sie sich um die Kinder kümmern. Dann kann eine Beziehung zu den Enkeln beispielsweise die Aufmerksamkeit, Flexibilität und das Gedächtnis verbessern. Depressiven Symptomen kann sie entgegenwirken – das wurde zumindest für Großmütter gezeigt.

Werden die Großeltern allerdings zum Elternersatz und passen mehr als 30 Stunden pro Woche auf die Enkel auf, drehen sich die Effekte ins Negative: Das Gedächtnis funktioniert schlechter, die Aufmerksamkeit lässt nach, Depressionen treten häufiger auf.

Zwar kommen solche Konstellationen in Deutschland seltener vor als etwa in den USA. Doch auch hier kann es passieren, dass Großeltern anstelle der Eltern zu Erziehungsberechtigten werden, sagt Ralph Hertwig. "Wenn etwa die Eltern getrennt sind und die Mutter an einer Depression erkrankt, kann den Großeltern plötzlich alle Verantwortung zukommen."

Die Enkel können so von den Problemen ihrer Eltern abgeschirmt werden. Aber die Großeltern kann es überlasten und zu Stress und negativen Konsequenzen für die Gesundheit führen, psychisch wie physisch.

Zu viel Enkelbetreuung kann Depressionen auslösen | Bildquelle: Mauritius images / Ruslan Huzau / Alamy, All mauritius images

UNSERE QUELLEN

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  • „Generationenübergreifende Zeitverwertung: Großeltern, Eltern, Enkel", Seilbeck C. & Langmeyer A. 2018, Deutsches Jugendinstitut e.V.
  • "Ältere Menschen in Deutschland und der EU", Statistisches Bundesamt 2016
  • "Großelternschaft und Mehrgenerationenfamilien – soziale Realität oder demographischer Mythos?", Lauterbach W. 2002, Z Gerontol Geriat 35:540-555
  • "Gestiegene Geburtenhäufigkeit bei älteren Müttern", Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes 2019
  • "What do we know about grandparents? Insights from current quantitative data and identification for future data needs", Hank K. et al. 2018, Eur J Ageing 15(3):225-235
  • "Enkelkinder und ihre Großeltern – intergenerationelle Beziehungen im Wandel", Höpflinger F. et al. 2006, Seismo-Verlag
  • „Grandparents caring for their grandchildren: Findings from the 2004 survey of health, ageing and retirement in Europe”, Hank K. & Buber I. 2009, J Fam Issues. 30(1):53-73
  • “The demography of grandparenthood: An international profile”, Leopold T. & Skopek J. Social Forces 94(2):801-832

(Erstveröffentlichung: 2020. Letzte Aktualisierung 24.03.2020)