Erzeuger und Erzieher
Dabei hat sich die Vaterrolle in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Betrachtete die Gesellschaft es früher eher skeptisch, wenn sich ein Mann schon früh intensiv mit seinen Kindern beschäftigte, umfasst das moderne Bild vom Vater ganz selbstverständlich mehr als bloß seine Rolle als Ernährer der Familie.
Vater – so wird der Mann genannt, der ein Kind mit einer Frau gezeugt hat. Doch was ist mit den Männern, die die Kinder anderer Männer großziehen, in sogenannten Patchwork-Familien oder über Adoption? Vaterschaft definiert sich nicht nur über den biologischen Akt der Zeugung.
Danach ist die Erziehung und Prägung, die Weitergabe von Liebe und Werten die wichtigste Aufgabe – und die kann von jedem Mann übernommen werden, wie man an einem Beispiel aus der frühen christlichen Geschichte sehen kann, am wohl bekanntesten "Ersatzvater": Jesus Christus – nach christlichem Glauben der Sohn Gottes – wurde von seinem Erdenvater Josef erzogen. Josef nahm ihn als eigenes Kind an und adoptierte ihn damit sozusagen.
Josef lag das Wohl des Kindes am Herzen, was zu jener Zeit eher unüblich war. Denn bei den Römern war damals die Adoption zwar ein gängiges, rechtlich geregeltes Verfahren. Doch stand hier der Fortbestand des Geschlechts im Vordergrund. Oft wurden erst erprobte Jünglinge angenommen, die der Familie wirklich zur Ehre verhelfen konnten.
Dieser Form der Adoption stand das frühe Christentum ablehnend gegenüber: Die frühe christliche Gemeinschaft war sehr arm und zog häufig die Not Leidenden an. Deshalb benötigte die Kirche Geld. Die vermögenden Mitglieder sollten ihr Geld lieber der Kirche als einem adoptierten Kind hinterlassen.
Aufwachsen ohne Vater
Während des Zweiten Weltkrieges litten die Kinder unter vielen Entbehrungen: Lebensmittel fehlten, Bomben fielen vom Himmel, ganze Städte waren zerstört. Vielen Kindern fehlte der Vater, der als Soldat im Krieg diente und oftmals sein Leben ließ.
Ungefähr ein Viertel der Kinder wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Vater auf. Die Erziehung dieser Söhne und Töchter lag dann oft allein in der Hand der Mutter.
Fehlte ein männlicher Bezugspunkt, wie ein Onkel, konnte dies negativen Einfluss auf die Entwicklung haben. Die Forschung geht heute davon aus, dass ein Teil dieser Kinder eine verunsicherte Persönlichkeit entwickelte, das heißt, sie konnten zu Partnern oder eigenen Kindern keine dauerhaften Beziehungen aufbauen. Trennungen und abgebrochene Kontakte zu den Kindern waren häufig die Folge.
Besonders in der Pubertät fehlte die Vaterfigur. In den 1950er-Jahren gab der Vater noch die Verhaltensregeln in der Familie vor. Besonders die Söhne begehrten im Alltag dagegen auf. Sie strebten danach, eigene Entscheidungen zu treffen.
Die vaterlosen Söhne hatten dagegen kaum Vorbilder oder Autoritätspersonen, mit denen sie sich messen konnten. Zudem mussten sie Verantwortung übernehmen. Die Mütter hatten neben den häuslichen Pflichten auch noch den Lebensunterhalt zu verdienen.
Selbst wenn Väter aus dem Krieg wieder nach Hause zurückkehrten, bedeutete dies nicht zwangsläufig, dass die Rollenmuster problemlos erfüllt wurden: Für viele der Kinder waren ihre heimgekehrten Väter Fremde, die das Erlebte im Krieg erst einmal verarbeiten mussten, bevor sie zu den eigenen Kindern eine Beziehung aufbauen konnten.
Generationenkonflikt
Nach dem Krieg begannen die Alliierten in Deutschland mit der Entnazifizierung: Millionen Deutsche wurden kontrolliert und befragt, wie tief sie im Nazisystem verwurzelt waren. Trotz vieler Verurteilungen konnten viele wieder in der gleichen Funktion wie vor dem Kriegsende arbeiten.
In der öffentlichen Meinung dominierten die Konzentration auf den Wiederaufbau und der Wunsch, mit der Vergangenheit abzuschließen. An die Gräueltaten der Nazis wollte ein Großteil der Vätergeneration möglichst nicht erinnert werden.
Die Kinder dieser Generation begannen sich aber mit der Vergangenheit zu beschäftigen und verlangten eine Aufarbeitung der Naziverbrechen. Der Generationenkonflikt war programmiert. Er begann in den 1950er-Jahren, entwickelte sich zur Studentenbewegung und zur sogenannten 68er-Revolution. Beide Seiten standen sich auf der Straße gegenüber.
Das Aufbegehren wurde zunehmend durch Gewalt geprägt und erfuhr seinen Höhepunkt in der "Rote Armee Fraktion" (RAF) unter Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Aber nicht nur die Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten beschäftigte die junge Generation. Sie kämpften außerdem für die sexuelle Freiheit und die Gleichberechtigung der Frauen.
Die moderne Vaterfigur
Der Mann geht zur Arbeit und verdient das Geld. Die Frau dagegen kümmert sich um den Haushalt und versorgt die Kinder. Diese Rollenverteilung wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr aufgebrochen.
Für viele Männer ist es heute selbstverständlich, an der Schwangerschaft der Frau regen Anteil zu nehmen. Nach der Geburt schneiden sie häufig die Nabelschnur durch. Sie wechseln Windeln, baden und füttern die Kleinen. Sie zeigen Gefühle und schieben in aller Öffentlichkeit den Kinderwagen durch die Gegend.
Doch um die Vaterrolle ernst zu nehmen, muss der Alltag gut organisiert sein. Denn für ein Kind muss Man(n) sich Zeit nehmen. Das hat aber oft zur Folge, dass die berufliche Karriere einen Knick bekommen kann, denn die Arbeit muss eingeschränkt werden.
Viele Väter haben erkannt, dass ein enger Kontakt zu ihren Kindern wichtig für deren Entwicklung ist. Sie nehmen sich mehr Zeit, auch wenn diese manchmal begrenzt ist.
Neue gesetzliche Grundlagen
Mit den Kindern spielen, ihnen eine Geschichte vorlesen oder sich ihre Sorgen anhören: Sich mit den eigenen Kindern zu beschäftigen, kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung reagierte 2001 darauf: Seitdem haben Eltern einen Rechtsanspruch darauf, in Teilzeit zu arbeiten.
Außerdem können beide Eltern gleichzeitig Elternzeit nehmen. So können berufstätige Väter Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren, wenn sie das wünschen.
Auch das 2007 eingeführte Elterngeld – nimmt das zweite Elternteil ebenfalls Elternzeit, wird das Elterngeld zwei Monate länger bezahlt – soll Väter dazu motivieren, sich einige Zeit ausschließlich ihrem Kind zu widmen. "Dahinter steht die Überzeugung: Eltern sollen Familie und Beruf gleichermaßen leben können, und Kinder sollen Zeit mit beiden Eltern haben", heißt es im "Väterreport" der Bundesregierung von 2018.
Der zu erwartende Karriereknick, lächelnde Kollegen und ungläubige Chefs halten viele Männer aber immer noch von diesem Schritt ab. Sie arbeiten den ganzen Tag, sehen die Kinder weniger und bekommen nur einen Teil der Entwicklung mit.
Diese Konzentration auf den Beruf kann bei einer Scheidung Nachteile haben, wenn ein Vater versucht, das Sorgerecht für das Kind zu erhalten. Noch immer lebt die deutliche Mehrheit der Kinder (93 Prozent) nach der Trennung der Eltern hauptsächlich bei der Mutter, zeigte der Väterreport 2018.
Ein Vater hat aber möglicherweise bessere Chancen, wenn er sich mittels Elternteilzeit einen Teil der Woche um das Kind gekümmert hat. Damit weise er guten Willen und Kenntnisse der Kindererziehung nach. Vertreter von Väter-Selbsthilfegruppen beklagen allerdings, dass diese Besserstellung allenfalls auf dem Papier existiere, in der Realität aber Väter mit Elternteilzeit genauso benachteiligt würden.
Es gibt Väter, die kämpfen um das Sorgerecht vor Gericht. Andere wollen vor Gericht beweisen, dass sie nicht der Vater eines Kindes sind. Wenig Chancen haben Väter, wenn sie die Vaterschaft vor Gericht mit heimlichen Vaterschaftstests anfechten wollen. Diese sind als Beweismittel nicht zugelassen, entschied das Bundesverfassungsgericht 2007.
Seit 2008 stehen heimliche Tests sogar unter Strafe und können Bußgelder von mehreren tausend Euro nach sich ziehen. Alle Beteiligten müssen eine schriftliche Einverständniserklärung abgeben – also sowohl der Vater als auch Mutter sowie das Kind, falls es schon erwachsen ist.
Betroffene Väter können jedoch einen richterlichen Beschluss beim Familiengericht anfordern, um auch gegen den Willen der Partnerin einen Test durchführen zu lassen.
2019 sorgte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für Aufsehen mit ihrer Forderung, die Rechte der Väter nach einer Trennung zu verbessern. Denn nach einer Trennung wollten sich inzwischen oft beide Elternteile um die Kinder kümmern. Es gehe nicht an, "dass der Vater weiterhin den vollen Unterhalt zahlen muss, auch wenn das Kind viel Zeit bei ihm verbringt und sogar ein eigenes Zimmer bei ihm hat". Das Recht müsse hier der gesellschaftlichen Realität angepasst werden.
(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 18.02.2020)