Beruf Arzt
Arzt und Patient – eine schwierige Beziehung
Ärzte unterbrechen Patienten im Durchschnitt schon nach elf bis 24 Sekunden, zeigt eine Studie der Universität Düsseldorf. Dabei wusste schon Hippokrates: Ärzte müssen genau hinhören, um eine gute Diagnose zu stellen. Was läuft falsch zwischen Arzt und Patient?
Von Mareike Potjans
Vertrauen ist alles
"Wir gewähren dem Arzt Zugang zu unserem Körper, wie wir ihn sonst freiwillig nur dem oder der Geliebten gewähren", schreibt der Schriftsteller John Berger in seinem Roman "Geschichte eines Landarztes".
Nicht nur, dass man sich und seinen Körper vor jemandem entblößen muss, den man oft gar nicht kennt – dies passiert zusätzlich meist in einer Situation, in der man körperlich und seelisch angeschlagen ist. Glücklich kann sich dann schätzen, wer einen Arzt gefunden hat, dem er vertraut. Allzu oft sieht das aber anders aus.
Schlechte Nachrichten sind für Ärzte Alltag
"Ich höre sehr ambivalente Sachen", sagt Karin Henkel, Geschäftsführerin und Beraterin bei der Krebs-Initiative Köln. "Manche Krebspatienten werden sehr gut versorgt, aber ich höre auch von Patienten, dass sie völlig unempathisch im Beisein von Zimmernachbarn gesagt bekommen haben: 'Ach übrigens, Sie haben da einen Tumor.' So etwas gibt es leider immer noch."
Das passiere aber eher in Krankenhäusern ohne Krebszentrum, in denen es für den Arzt nicht zum Alltag gehört, solche Diagnosen zu überbringen, und dann, wenn die Personallage besonders schlecht sei.
Seit Ende der 1990er-Jahre berät Karin Henkel Krebspatienten und sieht seitdem große Verbesserungen. "Wir befinden uns bei der Arztausbildung noch in einer Übergangszeit, aber es ist viel passiert. Die Krebszentren spezialisieren sich und die Ärzte dort sind sensibler."
Neue Strategien für Patientengespräche
Trotzdem – auch für spezialisierte Ärzte ist es nicht einfach, einer Mutter von kleinen Kindern sagen zu müssen, dass in ihrem Körper Metastasen wuchern. Sie haben im Studium und in der Facharztausbildung das notwendige medizinische Wissen erlernt, doch wie man mit Patienten spricht, kam meist zu kurz.
An diesem Punkt setzt das Projekt "KoMPASS" an. "KoMPASS" steht für "Kommunikative Kompetenz zur Verbesserung der Arzt-Patient-Beziehung" und wird von der Deutschen Krebshilfe gefördert. Während des Trainings an zweieinhalb Tagen spielen professionelle Schauspieler mit Ärzten Patientengespräche nach.
"Das Besondere ist, dass die Interaktionen auf Erfahrungen aus dem Berufsalltag der teilnehmenden Ärzte beruhen und dass diese ein Feedback von den Schauspielern bekommen. Es werden nicht irgendwelche generellen Ratschläge gegeben, weil jeder Patient anders reagiert", erklärt die Diplom-Psychologin Jelena Zwingmann, die am Universitätsklinikum Heidelberg das Projekt koordiniert.
Insgesamt nahmen mehr als 500 Ärzte und Ärztinnen an den Trainings teil. Die Teilnehmer berichten fast ausnahmslos, dass sie Gelerntes aus dem Training im Klinikalltag umsetzen konnten.
Ihnen fällt es leichter, sich in die Situation des Patienten zu versetzen, sodass Missverständnisse seltener vorkommen. Sie gestehen sich eher eine kurzfristige Ratlosigkeit zu, ohne den Anspruch, auf schwierige Fragen von Patienten immer die passende Antwort parat haben zu müssen. Und sie empfinden es weniger belastend, Patienten schlechte Nachrichten zu überbringen.
Wenn endgültig nachgewiesen ist, dass Kommunikationstrainings wie "KoMPASS" effektiv sind, sollen sie für onkologisch tätige Ärzte in Deutschland verpflichtend werden. In der Schweiz und Großbritannien ist dies schon der Fall.
Neue Wege in der Arzt-Patient-Kommunikation
Planet Wissen. 11.11.2022. 05:26 Min.. UT. Verfügbar bis 15.11.2026. WDR.
Bringt das System autoritäre und kühle Ärzte hervor?
Deutsche Medizinstudenten haben zu Beginn ihres Studiums ein starkes soziales Bewusstsein und finden es wichtig, dass der Patient bei der Therapie mitbestimmt. Am Ende ihres Studiums ist die Fähigkeit zur menschlichen Zuwendung verkümmert und der Selbstbestimmung des Patienten wird kein hoher Stellenwert mehr eingeräumt – das belegen verschiedene Studien.
Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Wie werden – zugespitzt beschrieben – aus sozial engagierten jungen Menschen scheinbar kühle Ärzte? Bei dieser Wandlung spielen, wie immer bei komplexen sozialen Zusammenhängen, mehrere Faktoren eine Rolle.
Vor allem neigen Studenten dazu, das Verhalten von Ärzten anzunehmen, auf die sie während ihrer Praktika treffen: Oft haben diese kaum Zeit für ein Gespräch mit dem Patienten, und wenn, dann von oben herab und in aller Hektik. Schuld sind zum einen die ständigen Einsparungen im Gesundheitssystem, in dem Gespräche mit Patienten nicht oder nur schlecht bezahlt werden und das zu Personalmangel führt.
Aber auch die noch immer stark ausgeprägte Hierarchie in Krankenhäusern bringt Ärzte hervor, die sich oft zwar fachlich kompetent, aber autoritär und wenig patientenorientiert verhalten.
Für Gespräche bleibt im Krankenhaus oft wenig Zeit
Ärztliche Zuwendung hilft bei der Genesung
Im Medizinstudium gibt es zwar Vorlesungen zum Thema Arzt-Patienten-Beziehung, "aber es ist schwierig, so etwas frontal zu vermitteln", sagt die Assistenzärztin Daniela Pierscianek, die an der Universität Duisburg-Essen studiert hat. "Ich habe vor allem durch andere Assistenten oder Oberärzte gelernt, wie ich es machen möchte oder wie ich es eben nicht richtig finde. Eigentlich sollte jeder selbst den Antrieb haben, solche Dinge zu verbessern."
Dass man die Kommunikation mit dem Patienten nicht frontal unterrichten kann, haben mittlerweile auch einige Universitäten verstanden: In Heidelberg und Witten/Herdecke etwa üben die Studenten bereits mit Schauspielern.
Denn es sind nicht nur die technischen Apparate und Tabletten, die Kranke gesund machen. Allein die freundliche Aufmerksamkeit eines Arztes wirkt wie ein Placebo auf den menschlichen Körper. Patienten, die sich verstanden fühlen, werden in der Regel schneller wieder gesund.
"Menschliche Zuwendung ist ein Zaubermittel, das aus einem chemischen Nichts einen biologischen Vorgang macht", schreibt Medizin-Professor Dietrich Grönemeyer in seinem Buch "Mensch bleiben", in dem er eine liebevolle, nicht auf Kosten fixierte Medizin fordert.
Sehen Ärzte nur ihren Profit und kümmern sie sich wenig um ihre Patienten, droht sogar die Gefahr, dass Kranke vermehrt zu dubiosen Heilern und Scharlatanen überlaufen. Diese schenken dem Patienten zwar die ersehnte Aufmerksamkeit, können aber im schlimmsten Fall mehr Schaden anrichten als heilen.
Dietrich Grönemeyer fordert eine liebevolle Medizin
Wer entscheidet: Arzt oder Patient?
Heute ist fast in Vergessenheit geraten, dass das Verhältnis von Arzt und Patient lange Zeit kein einseitig autoritäres, sondern ein ebenbürtiges war. Bis zum beginnenden 19. Jahrhundert konkurrierten akademische Mediziner mit unorthodoxen Heilern um Patienten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten sie ihre radikalen, meist unangenehmen Methoden wie Schröpfen und Aderlass vermarkten und deswegen sehr genau auf die Bedürfnisse ihrer Patienten eingehen.
Erst als sich im 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Medizin entwickelte, die nicht mehr ohne Fachwissen nachzuvollziehen war, und vermehrt Krankenhäuser mit streng hierarchischer Ordnung entstanden, errangen Ärzte eine Monopolstellung im Gesundheitssystem.
Dazu kam, dass sich mit der Einführung der Krankenversicherung 1883 nicht mehr nur Reiche eine ärztliche Behandlung leisten konnten.
Zu den Armen fühlten Ärzte aber eine größere soziale Distanz als zu Gutsituierten, die sie vorher oft noch in der eigenen Wohnung behandelt hatten. Das Verhältnis zum Patienten wurde zu einem paternalistischen, das sich teilweise bis heute gehalten hat: Der Kranke nimmt eine passive Rolle ein, während der autoritäre Arzt entscheidet, welche Therapie die richtige ist.
Arzt und Patient auf gleicher Ebene?
Gut beratene Patienten verursachen weniger Kosten
Seit dem 20. Jahrhundert ändert sich das Verhältnis wieder: Der Patient ist im Idealfall informierter und selbstbewusster als früher und wehrt sich gegen eine vereinnahmende Autorität des Arztes.
Wissenschaftler diskutieren Modelle wie "shared decision making" ("gemeinsame Entscheidungsfindung") und "evidence-based patient choice" ("evidenzbasierte Patientenentscheidung", also eine Entscheidung auf der Grundlage von empirisch nachgewiesener Wirksamkeit). Diese nehmen auch den Patienten in die Pflicht; er kann sich nicht mehr bequem zurücklehnen, bekommt nicht einfach etwas vorgeschrieben, sondern muss sich aktiv beteiligen und mitentscheiden.
Der Arzt muss sich in diesen Systemen zwar mehr Zeit für Gespräche nehmen, um den Patienten umfassend zu informieren. Das muss aber nicht unbedingt teurer sein. Erste Studien weisen sogar darauf hin, dass gut informierte Patienten weniger Kosten verursachen, weil sie sich oft für weniger riskante und damit meist kostengünstigere Therapien entscheiden.
Zeit also für einen Wandel im Gesundheitssystem, das Patientengespräche angemessen honoriert? Die Zukunft wird es zeigen.
Patienten sollen mitentscheiden
(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 24.07.2020)
Quelle: WDR