Geschichte der Europäischen Union
Planet Wissen. 23.10.2023. 03:38 Min.. UT. Verfügbar bis 01.03.2028. WDR.
Organisationen
Geschichte der EU
Europa Anfang der 1950er-Jahre: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Langsam erholt sich der Kontinent wieder von dem Konflikt, der mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet hat. So etwas will und soll niemand noch einmal erleben.
Von Martina Frietsch, Rainer Leckebusch
Die ersten Schritte auf dem Weg zur EU
Die Anfangsidee: Um den Frieden dauerhaft zu sichern, soll ein Zusammenschluss aller europäischen Staaten her – wirtschaftlich, wie auch politisch. Mit dem gemeinsamen und langfristigen Ziel: Wohlstand für alle Mitgliedsländer.
Im Verlauf ihrer Geschichte ist mit der heutigen Europäischen Union (EU) ein komplexes Gebilde entstanden: Die EU ist keine Föderation wie die USA und auch keine Organisation für die Zusammenarbeit von Regierungen wie beispielsweise die UNO.
Über die Jahre haben die Mitgliedsstaaten ihre eigenen Organe eingerichtet: das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Kommission, den Europäischen Gerichtshof und den Europäischen Rechnungshof.
Die Mitgliedsländer geben einen Teil ihrer staatlichen Souveränität an diese Organe ab. Dieser Zusammenschluss von Hoheitsrechten heißt auch "Europäische Integration". Praktisch bedeutet das: Die Mitgliedsländer entscheiden demokratisch über wichtige Fragen, die auf das gemeinsame europäische Interesse abzielen.
Die europäische Integration beruht auf vier Gründungsverträgen: dem Vertrag zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1951), dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957) und dem der Europäischen Atomgemeinschaft (1957) sowie dem Vertrag über die Europäische Union, auch "Vertrag von Maastricht" genannt (1992).
Die Europäische Staatengemeinschaft hat sich über Jahrzehnte entwickelt
Gemeinsame Verwaltung von Kohle und Stahl
Bei den ersten konkreten Schritten zu einer Wirtschaftsgemeinschaft ging es zunächst darum, militärstrategisch wichtige Güter einer gemeinsamen Behörde zu unterstellen. Das sollte langfristig den Frieden sichern. Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten waren dabei federführend.
Robert Schuman, der damalige französische Außenminister, schlug in einer Rede am 9. Mai 1950 vor, die Kohle- und Stahlindustrie gemeinsam zu verwalten. Daher gilt der 9. Mai 1950 als Geburtstag der heutigen EU. Außerdem wird er seit 1985 als "Europatag" gefeiert.
1951: Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
Bereits ein Jahr später, im April 1951, gründeten dieselben Länder die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) – auch Montanunion genannt. Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Kohle- und Stahlprodukte hatte auch zum Ziel, die noch junge Bundesrepublik Deutschland in das Nachkriegseuropa einzugliedern.
Gleichzeitig wurden eigene Institutionen geschaffen. Die Hohe Behörde (spätere Kommission) sollte die Exekutivrechte haben. Eine Parlamentarische Versammlung fungierte als Diskussionsgremium. Ein Ministerrat war legislativ tätig. Und ein Gerichtshof überwachte die Vertragsauslegung. Zum ersten Mal wurden damals nationale Hoheitsrechte auf eine übernationale ausführende Behörde übertragen.
Der Ministerrat sollte die Entscheidungen der Hohen Behörde mit der Wirtschaftspolitik in den einzelnen Ländern koordinieren. Damit war das sogenannte "Europa der 6" geschaffen. Das EGKS-Vertragswerk bildete die Keimzelle der heutigen Europäischen Union.
Von den Römischen Verträgen bis zur EG
Kohle und Stahl waren nur der Anfang: Auf der Konferenz von Messina 1955 einigten sich die sechs EGKS-Staaten darauf, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erweitern. So vereinbarten sie im März 1957, ihre Kooperation auf die gesamte Wirtschaft und den gesamten Handel auszudehnen.
In Rom unterzeichnen sie die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Außerdem wurde die Europäische Atomenergie-Gemeinschaft (EURATOM) gegründet. Damit verständigten sich die Länder auf eine Behörde für die Entwicklung der Nuklearindustrie.
Die EWG orientierte sich organisatorisch an der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Die Hohe Behörde als Exekutivgewalt hieß jetzt Kommission, der Ministerrat war Gesetzgeber. Die parlamentarische Versammlung debattierte über Berichte und war das Bindeglied zu den nationalen Parlamenten.
Die unterschiedlichen Standorte für die verschiedenen Institutionen resultieren auch aus dieser Zeit. Die Frage des Sitzes war nämlich lange ein Streitpunkt zwischen den Mitgliedsstaaten. Unter der EGKS tagte die parlamentarische Versammlung in Straßburg. Die Hohe Behörde, der Rat und der Gerichtshof saßen in Luxemburg. Brüssel wurde für EURATOM und EWG als Sitz für Rat und Kommission gewählt.
1957: Unterzeichnung der Römischen Verträge
Wirtschaftlich gesehen bedeutete die Unterzeichnung der Römischen Verträge nun auch Zusammenarbeit in Landwirtschaft, Wettbewerb und Außenhandel. Langfristig dachten die sechs Staaten schon an eine Zollunion. Sie wollten Handelshemmnisse abbauen und einen gemeinsamen Außenzoll ins Leben rufen. Zusätzlich sah der EWG-Vertrag vor, einen gemeinsamen Markt zu schaffen – mit freiem Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr.
Am 1. Juli 1967 wurden die Organe der drei Gemeinschaften (EGKS, EWG und EURATOM) zusammengelegt zur EG, der Europäischen Gemeinschaft. Für die EG wurde ein gemeinsamer Rat und eine gemeinsame Kommission eingesetzt. In mehreren Schritten gelang es, 1968 die Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten abzubauen und einen gemeinsamen Außenzoll zu schaffen.
Die EG bekommt ersten Zuwachs
Mittlerweile war die westeuropäische Gemeinschaft auch für andere Länder attraktiv geworden: Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland traten 1973 der EG bei. Anfang der 1970er-Jahre gab es außerdem einen ersten Anlauf in Richtung Wirtschafts- und Währungsunion, der zunächst allerdings scheiterte.
Erst 1979 trat das EWS, das Europäische Währungssystem, in Kraft. Mit dem EWS erreichten die Staaten stabile Wechselkurse zwischen den beteiligten Währungen. Das Europäische Währungssystem war die Grundlage für die spätere Wirtschafts- und Währungsunion.
1979 war auch das Jahr des Europäischen Parlaments. Zum ersten Mal konnten die EG-Bürger die Abgeordneten für Europa direkt wählen. Und der Kreis der Wähler bekam wenige Jahre später weiteren Zuwachs: 1981 trat Griechenland der EG bei, 1986 Portugal und Spanien.
Man sprach vom "Europa der 12". Diese zwölf Mitgliedsstaaten machten 1986 einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zur Europäischen Union: In der Einheitlichen Europäischen Akte setzten sie sich einen gemeinsamen Binnenmarkt bis 1993 zum Ziel.
Die Jahre 1989 und 1990 veränderten Europa nachhaltig. Die Beendigung des Ost-West-Konflikts brachte der Europäischen Gemeinschaft neue Perspektiven und Aufgaben. Über die Wiedervereinigung wurde mit der DDR quasi über Nacht ein ehemals kommunistisches Land Mitglied der EG. Mit dem Ende des Kalten Kriegs waren im Prinzip auch schon die Weichen für eine Ost-Erweiterung der Gemeinschaft gestellt.
Das Ende des Kalten Kriegs verändert die EG
Europa am Ende des 20. Jahrhunderts
Anfang der 1990er-Jahre hatte die EG neuen Schwung bekommen. 1990 begann die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Damit begann ein Prozess in drei Stufen. Er sollte die Wirtschafts- und Währungspolitik der Mitgliedsstaaten unter einen Hut bringen und schließlich zu einer gemeinsamen Währung führen. In der ersten Stufe wurde der Kapitalverkehr zwischen den Staaten liberalisiert und die Zentralbanken arbeiteten stärker zusammen.
Planmäßig wurde am 1.1.1993 der EG-Binnenmarkt vollendet. Die EG war nun ein Wirtschaftsraum ohne Grenzen. Der Binnenmarkt gewährleistet seitdem den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Damit wurde auch die alte Idee der EWG aus den 1950er-Jahren Realität.
1993 trat auch der Maastrichter Vertrag von 1992 in Kraft und begründete schließlich die Europäische Union. Darin wurde die Kooperation in weiteren Politikbereichen vereinbart: in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder im Bereich Justiz und Inneres. Außerdem verständigten sich die Mitgliedsstaaten auf Abstimmungen bei Verbraucherschutz, Umweltfragen, Gesundheitswesen und Entwicklungshilfe.
Ein Jahr später begann die zweite Stufe der WWU. Eine gemeinsame Währung rückte näher. Die Mitgliedsstaaten verpflichteten sich beispielsweise, Preise und Währung stabil zu halten und übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Gleichzeitig sollte der Aufbau einer Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main vorbereitet werden. Dazu wurde das Europäische Währungsinstitut in Frankfurt errichtet.
Mitte der 1990er-Jahre bekam die EU weiteren Zuwachs: 1995 traten Finnland, Schweden und Österreich bei. Im gleichen Jahr trat das Schengener Abkommen in Kraft. Damit wurden unter anderem die Behandlung von Asylanträgen, die Einreise von Ausländern, Maßnahmen gegen Drogenhandel und die polizeiliche Zusammenarbeit geregelt. Das sogenannte Schengener Informationssystem sollte die grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung erleichtern.
Öffnung nach Osten
1997 unterzeichneten die EU-Länder den Amsterdamer Vertrag, zwei Jahre später trat er in Kraft. Er sollte Europa auf das 21. Jahrhundert vorbereiten und so die Fortentwicklung der EU sichern. Darüber hinaus schrieb er Reformen der EU-Institutionen vor. Das Europaparlament bekam zum Beispiel mehr Rechte bei Mitentscheidungen. Die Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und eine intensivere Kooperation im Bereich Justiz und Inneres wurden ebenfalls neu festgelegt.
Im bargeldlosen Zahlungsverkehr gab es den Euro schon 1999, da in diesem Jahr die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion begann. Am 1. Januar 2002 war es dann so weit. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Währungsunion wurde das Euro-Bargeld zum alleinigen Zahlungsmittel.
Seit dem 1.1.2002 ist der Euro im Umlauf
Ende der 1990er-Jahre verhandelte der Europäische Rat auch schon die nächsten Beitritte: 1998 zunächst mit Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern. 1999 auch mit Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und der Slowakei.
Am 1. Mai 2004 traten dann zehn neue Mitgliedstaaten der EU bei: Estland, Lettland, Litauen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Malta und Zypern. 2007 folgten mit Bulgarien und Rumänien zwei weitere Länder, seit 2013 gehört auch Kroatien der EU an. Beitrittskandidaten sind derzeit (2020) Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und die Türkei. Weitere potenzielle Kandidaten sind Bosnien und Herzegowina sowie das Kosovo.
Die EU in der Krise
Nach der Finanzkrise, die 2008 in den USA ihren Ausgang nahm, geriet auch Europa in den Strudel der folgenden Wirtschaftskrise, die die wirtschaftlich schwächeren Staaten wie Portugal, Spanien, Irland, Italien und Griechenland besonders hart traf. Mit der Schuldenkrise in diesen Staaten wuchs auch der Druck auf die gemeinsame Währung Euro.
Milliardenschwere Finanzspritzen und Rettungspakete verhinderten Staatspleiten und ebenso das befürchtete Scheitern des Euro. Doch gerade das völlig verschuldete Griechenland sorgt regelmäßig dafür, dass Europa dauerhaft im Krisenmodus ist.
Die Regierung von Alexis Tsipras und seiner Partei Syriza, seit Januar 2015 im Amt, kämpft mit strukturellen Problemen und dem drohenden Staatsbankrott. Seit Mitte des Jahres 2015 wird immer wieder über den "Grexit" diskutiert, also einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
Die dramatische finanzielle Situation trat ab Mitte 2015 durch ein weiteres Problem in den Hintergrund – zumindest was die öffentliche Wahrnehmung anging. Der Strom der syrischen Flüchtlinge, die über die Türkei nach Europa flüchteten, wuchs bis auf mehrere Tausend pro Tag an. Deutschland setzte das sogenannte Dublin-Verfahren aus und nahm – vorerst – unbegrenzt Flüchtlinge auf. Zur gleichen Zeit wehrten sich etliche osteuropäische Staaten, allen voran Ungarn, Flüchtlinge aufzunehmen.
Die EU und die Flüchtlingskrise
Planet Wissen. 23.10.2023. 02:27 Min.. UT. Verfügbar bis 01.03.2028. WDR.
Versuche der EU, sich europaweit auf verbindliche Aufnahmequoten zu einigen, scheiterten. Stattdessen begannen erste Staaten ihre Grenzen zu schließen und auf nationale Lösungen zu setzen statt auf ein gemeinsames europäisches Vorgehen.
Die so genannte Flüchtlingskrise trägt auch dazu bei, dass europaweit die rechtsgerichteten politischen Bewegungen mehr Zulauf und mehr politisches Gewicht bekommen. Parteien, die auf nationale Politik statt auf den europäischen Gedanken setzen.
Erste gravierende Auswirkungen hat dies bereits in Großbritannien: Im Juni 2016 stimmte die britische Bevölkerung mit knapper Mehrheit für einen Austritt aus der Europäischen Union. Treibende Kraft beim Referendum war die rechtspopulistische Ukip-Partei gewesen. Seit dem 31. Januar 2020 ist Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU.
Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten
(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 17.02.2020)
Quelle: WDR/SWR