Eine Frau betrachtet eine Totenkrone mit Engel aus dem 18. Jahrhundert

Bestattungskultur

Totenhochzeit – Vermählung nach dem Tode

Wer unverheiratet stirbt, hat ein unvollkommenes Leben geführt – diese Meinung war früher weit verbreitet. So entstand die Tradition der "Totenhochzeit", bei der die Leichen vor der Beerdigung noch symbolisch verheiratet wurden.

Von Alfried Schmitz

Die Ehe als gesellschaftliches Ideal

Vom 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war es im deutschsprachigen Raum weit verbreitet, ledig Verstorbene mit einem Totenkranz oder einer Totenkrone zu schmücken, die Hochzeitsschmuck nachempfunden waren. Auf diese Weise wurde eine Art Vermählungszeremonie nach dem Tode durchgeführt.

In unserer Gesellschaft mit Singlehaushalten und Individualismus ist es schwer nachzuvollziehen, dass in vergangenen Jahrhunderten nur der Mensch als vollkommen und glücklich galt, der verheiratet war und möglichst viele Nachkommen in die Welt setzte.

Diese Anschauung war geprägt vom damals vorherrschenden kirchlich-religiösen Weltbild, hatte aber auch einen gesellschaftlichen Hintergrund. Die Kirche galt als Institution, deren Dogmen das Leben der Menschen prägte und bestimmte. Uneheliche Gemeinschaften und Lebenspartnerschaften, die nicht durch das kirchliche Sakrament der Ehe abgesegnet waren, galten als unmoralisch.

Wer einen entsprechend unsoliden Lebenswandel führte, wurde sozial geächtet. Die Ehe zwischen Mann und Frau wurde als Idealzustand angesehen und galt als Keimzelle für die gesunde Gesellschaft. "Seid fruchtbar und mehret Euch", lautete der entsprechende biblische Leitsatz.

Totenhochzeit mit Kranz und Krone

Die Idealisierung der Ehe als kirchliche und gesellschaftliche Institution führte zu einem Bestattungsritus, der heute sehr ungewöhnlich anmutet. Bis in die Zeit um 1870, in Einzelfällen sogar noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, war es im deutschsprachigen Raum gebräuchlich, sogenannte Totenhochzeiten abzuhalten.

Frauen, Männer und Kinder, die unverheiratet starben, wurden nach ihrem Ableben oft mit einer reich verzierten Totenkrone geschmückt. Sie wurde den Verstorbenen auf den Kopf gesetzt, in die Hand gegeben, auf oder vor den Sarg gelegt.

Auch Totenkränze wurden für diese Feierlichkeiten benutzt. Ob Kranz oder Krone, beide Symbole sahen dem entsprechenden Hochzeitsschmuck damaliger Tage sehr ähnlich. Diese Ähnlichkeit war gewollt, denn die Totenkrone oder der Totenkranz sollten eine Art Entschädigung für die nicht gefeierte Hochzeit zu Lebzeiten sein.

Die prachtvollen Gebilde waren, je nach finanziellen Möglichkeiten und je nach Stand der Hinterbliebenen, aufwendig gestaltete Schmuckstücke aus verschiedenen Materialien. Sie waren wie Königskronen aus Silber oder Gold geschmiedet, zeigten filigran eingravierte Verzierungen oder waren bunt bemalt. Sie bestanden aus regionaltypisch gewebten und gefärbten Leinenstoffen oder waren als reiche Blumengebinde liebevoll geflochten.

Vor einer Glasvitrine sieht man die zwei Hinterköpfe von Besucherinnen. Sie betrachten eine Totenkrone. Die Krone ist einem Buchsbaumgeflecht nachempfunden und seitlich mit bunten Bändern verziert

Totenkrone aus Thüringen

Kostspieliger Totenkult

Die ledig Verstorbenen mit Kranz und Krone zu schmücken, war eine in ganz Deutschland verbreitete volkstümliche Sitte, die sich durch katholische wie protestantische Gemeinden gleichermaßen zog. Was bei einer breiten Bevölkerungsschicht überaus beliebt war, wurde von den Kirchenoberen allerdings als abergläubischer und gar heidnischer Brauch abgetan und verurteilt.

Schon im 17. Jahrhundert versuchte man der damals noch neuen Sitte mit Verordnungen zu Leibe zu rücken, aber ohne Erfolg. Zu verbreitet war der Ritus, als dass man ihn hätte abschaffen können.

Nur in einem Punkt konnte man den skurrilen Bestattungskult zumindest abschwächen. Es war nämlich in jener Zeit zu einem ungesunden Wettbewerb unter den Hinterbliebenen ausgeartet, die Toten mit der schönsten und kostbarsten Krone oder dem aufwendigsten Kranz zu schmücken. Dieser kostspielige Luxus verschlang viel Geld und brachte manch eine Familie an den Rand des finanziellen Ruins.

So wurde es in manchen Gemeinden üblich, statt der kostspieligen Eigenkrone eine Leihkrone für die Zeremonie zur Verfügung zu stellen, die man später gegen Entrichtung einer kleinen Gebühr an den Gemeindeküster zurückgeben konnte. Die Totenkronen, die als Beilagen mit ins Grab gelegt wurden, sind heute von hohem archäologischem Interesse.

Künstlerin Luzia Werner hält eine alte Totenkrone aus nachgebildeten Blumen in den Händen

Totenkrone mit Blumenblüten

Totenkranzkästen als Kirchenschmuck

Was auf höherer Kirchenebene verpönt war, fand in den Gemeinden selbst wohlwollende Billigung oder gar die Unterstützung seitens der Pfarrer. Sie wollten ihre Gläubigen nicht verärgern und ließen den Brauch der Totenhochzeit zu.

Immerhin erhielten ihre Kirchenhäuser durch diesen Bestattungskult auch einen kostenlosen Innenschmuck. Es war nämlich vielerorts üblich, die Kronen und Kränze nach der Beerdigung in extra dafür hergestellten Schaukästen in den Kirchen auszustellen. Den Hinterbliebenen dienten sie auf diese Weise als Erinnerungsstücke und Devotionalien. In einigen Kirchenräumen zierten Hunderte solcher Totenkranzkästen die Wände.

Holzkasten enthält eine Blumenkrone

Totenkranzkästen schmückten die Kirchen

Doch ab Mitte des 19. Jahrhunderts verschwanden die Kränze und Kronen nach und nach aus den Gotteshäusern. In vielen Gemeinden galten die Brauchtumsrelikte nun als ungeliebte Staubfänger und wurden abgehängt. Auch der Brauch selbst geriet mehr und mehr in Vergessenheit.

Der Schriftsteller Theodor Fontane beklagte den Verlust dieser lieb gewordenen Erinnerungsstücke allerdings sehr. In seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" schrieb er: "Man nimmt den Dorfkirchen oft das Beste damit, was sie haben, vielfach auch ihr – Letztes. ... Nur die Braut- und Totenkronen blieben noch. Sollen nun auch diese hinaus? Soll alles fort, was diesen Stätten Poesie und Leben lieh?"

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 24.11.2020)

Quelle: WDR

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