Architektur

Türme

Wann genau die Menschen auf die Idee kamen, Türme zu bauen, ist unklar. Doch sicher wurde schon vor sehr langer Zeit erkannt, dass eine erhöhte Position von Vorteil ist: Der älteste archäologische Fund lässt sich auf 8000 vor Christus zurückdatieren.

Von Susanne Decker

Ur-Türme des Altertums

Beim ältesten archäologischen Turmfund handelt es sich um die Überreste des Turms von Jericho. In den 1950er-Jahren legten Archäologen dort den aus Lehmziegeln gemauerten unteren Turmteil frei – fast neun Meter hoch und mit einem Durchmesser von acht Metern. Man datiert den Bau des Turmes von Jericho auf eine Zeit um 8000 vor Christus.

Bemerkenswert sind auch die "Nuraghen" auf Sardinien – rund gemauerte Turmbauten mit mehreren Stockwerken, aus tonnenschwerem Granit oder Basaltstein aufgeschichtet. Noch heute findet man fast 7000 Ruinen dieser erstaunlich ausgeklügelten Bauwerke. Gebaut wurden sie ab 1600 vor Christus. Man verwendete sie als Schutzturm und Verteidigungsfestung.

Manche Nuraghen wurden sogar in dorfartigen Komplexen errichtet. Die Überreste solch einer "Großnuraghe" kann man in der Nähe des Ortes Barumini besichtigen. Der Komplex "Su Nuraxi" wurde 1997 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

Vom Turm zu Babel bis zum modernen Wolkenkratzer

Die Hochkulturen Mesopotamiens bauten ihre Tempelanlagen auf "himmlische Berge", um den Göttern besonders nahe zu sein. Das waren künstliche Stufenberge, sogenannte "Zikkurate".

Eines der bekanntesten ist der "Turm zu Babel". Er wurde 600 vor Christus fertiggestellt und war 77 Meter hoch. 280 vor Christus wurde vor dem Hafen der Stadt Alexandria auf der Insel Pharos ein gigantischer Leuchtturm von 140 Metern Höhe errichtet.

Danach wurde es in der Geschichte erst einmal ein wenig ruhiger um Türme mit gigantischen Höhen. Die Römer bauten Türme vor allem, um ihre Grenzen abzusichern. Solche Limes-Türme dienten zur Überwachung und waren schon von weitem als Markierungspunkt für die Zollgrenze auszumachen.

Erst mit den mittelalterlichen Kirchenbauten erlebten hohe und prachtvolle Türme ein Comeback. Sie wurden zur Ehre Gottes errichtet und auch, um Macht und Reichtum zu demonstrieren.

Ausdruck mittelalterlicher Macht: die Türme der gotischen Kathedralen | Bildquelle: Mauritius/United Archives/Werner Otto

Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Menschen in New York und Chicago mit dem Bau von Wolkenkratzern. Die Entwicklung des Stahlskelettbaus und die Erfindung des elektrischen Aufzugs setzten dem Höhendrang der Bauherren keine bis dahin gekannten Grenzen mehr. Wohn- und Bürotürme schossen ab jetzt wie Pilze aus dem Boden.

Die Geburtsstunde der Skyline

Das Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und der sich rasant entwickelnde technologische Fortschritt machten den Bau von Türmen in Rekordgeschwindigkeiten möglich. Die Türme, die bis dahin herausragend das Zentrum einer Stadt markierten, bekamen plötzlich Konkurrenz. Ab jetzt konnten Ingenieure weithin sichtbar ihre Kunst zur Schau stellen und zeigen, was mit bestimmten Baumaterialien alles möglich ist.

Der Eiffelturm in Paris ist ein gutes Beispiel dafür. Einzigartige, bis dahin noch nie gekannte Turmkonstruktionen aus neuartigen Werkstoffen entstanden, wie zum Beispiel auch Stahlbeton-Konstruktionen, die vor allem im 20. Jahrhundert die Baubranche revolutionierten. Das Gesicht der Städte wandelte sich. Die Skyline einer größeren Stadt bekam ab jetzt ein unverwechselbares, charakteristisches Relief.

Der Drang, in die Höhe zu bauen, ist nach wie vor ungebrochen. 2004 wurde in Taiwan das "Taipei Financial Center" (auch Taipei 101 genannt) mit einer Höhe von 508 Metern eröffnet. Es besitzt die schnellsten Aufzüge der Welt.

Das "One World Trade Center", das bis 2014 am "Ground Zero" (der Stelle des zerstörten World Trade Center) errichtet wurde, ist 541 Meter hoch. In China hat man die Zukunftsvision, einen Turm von über 1200 Metern zu errichten. Der "Bionic Tower" in Shanghai hätte diesen Plänen zufolge 300 Stockwerke und böte mit einer Fläche von zwei Millionen Quadratmetern Platz für 100.000 Menschen.

Seit 2014 prägt das One World Trade Center die Skyline New Yorks | Bildquelle: AP/Mark Lennihan

Unzählige Einsatzmöglichkeiten

Türme erfüllen viele Funktionen. Sie bieten Schutz und Orientierung, taugen zur Verteidigung und für die Demonstration von Macht, Stärke und technologischem Know-how.

Aber auch rein physikalische Notwendigkeiten erfordern den Bau von Türmen. Fließendes Wasser ohne Pumpleistung bekommt nur, wer den großen Wassertank eines Wasserturms anzapfen kann. Die Flügel eines Windrades müssen Platz zum Drehen haben und dort sein, wo der Wind am stärksten pfeift, also oben.

Funk- und Fernsehwellen dürfen an kein Hindernis stoßen – müssen also von einer hohen Antenne ausgestrahlt werden. Hohe Schornsteine dienen zur Abgasentsorgung. Kühltürme sind dazu da, dem Kühlwasser eines Kraftwerks die Wärme zu entziehen.

Türme, die aus Sonnenwärme Energie gewinnen, könnten in Zukunft in den Wüstenregionen der Welt eine Rolle spielen: 1000 Meter hohe Betonröhren mit einem Innendurchmesser von 170 Metern inmitten einer Kollektorfläche aus Glas und mit einer Gesamtfläche von 35 Quadratkilometern! In einem solchen Aufwindkraftwerk kann der Strom der erwärmten Luft oben die im Inneren des Turmes angebrachten Turbinen antreiben.

Manche Türme sind auch einfach nur zum Genießen da: Aussichtstürme waren vor allem zum Ende des 18. Jahrhunderts gefragt und werden seitdem auch speziell für diesen Zweck errichtet. Manche Industrie- und Techniktürme kombinieren Nutzen und Spaß, indem sie zusätzlich zu ihrer Funktion auch Aussichtsplattformen und Turmcafés bieten. Stillgelegte Türme, die einfach zu schön zum Abreißen sind, werden manchmal auch zu Aussichtstürmen umgebaut.

Bismarcktürme dienen heute vor allem als Aussichtstürme | Bildquelle: WDR/Christopher C. Franken

(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 14.10.2019)