Kopenhagen

Ungewöhnliche Stadtteile von Kopenhagen

Kopenhagen besitzt einige merkwürdige Stadtteile: eine eigenständige Stadt innerhalb der Stadt, einen sich selbst verwaltenden "Freistaat" und ein Vergnügungsviertel, das durch die Vertreibung der Metzger aus der Stadt entstand.

Von Bärbel Heidenreich

Vesterbro – der Wandel im Handel

Im mittelalterlichen Kopenhagen lebten viele Menschen zusammengepfercht und waren der Brand- und Seuchengefahr ausgesetzt. Um den Ausbruch von Epidemien zu verhindern, beschlossen die Stadtväter 1776, dass niemand mehr im Hinterhof sein Vieh schlachten dürfe.

Das betraf natürlich vor allem die Metzger. Sie waren gezwungen, außerhalb der Stadtmauern ihre Geschäfte zu eröffnen, und zogen nach Vesterbro.

Wo Fleisch verarbeitet wird, bietet es sich an, kleine Restaurants zu betreiben. Und wo gegessen wird, da dürfen Getränke nicht fehlen. 25 Jahre später stellte die Stadtverwaltung fest, dass 23 Prozent der Einwohner Metzger waren und 31 Prozent Gastwirte und Kellner.

Zum Leibeswohl gehörte bald nicht nur das gute Essen und Trinken, sondern auch das Vergnügen, das Geschäft mit der Lust.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Fabriken gebaut. Arbeitskräfte vom Lande mussten untergebracht werden. Im Eiltempo entstanden billige Wohnblocks und in jeder schäbigen Nische provisorische Unterkünfte, die zukünftigen "Slums".

Das Spekulationsgeschäft boomte. Wer immer sich in Vesterbro niederließ, suchte eine neue Chance: zuerst die Metzger, dann die Fabrikarbeiter.

Hundert Jahre später waren es arabische und grönländische Einwanderer, die hier Geschäfte eröffneten. In den 1970er-Jahren änderte sich das Bild. Die kleinen Läden schlossen und das Geschäft mit der käuflichen Liebe nahm zu.

Touristen aus ganz Europa strömten heran, um die dänische Freizügigkeit zu erleben. Doch diese andere Variante "mit Fleisch zu handeln" ebbte auch wieder ab.

20 Jahre später hieß es zurück zu den Wurzeln: Vesterbro wurde wieder ein Ort für Menschen, die eine neue Chance suchen. Junge Musiker, Videokünstler, kleine Galerien und Workshops richteten sich in leerstehenden Lagerhallen und Läden ein, um vielleicht irgendwann ganz groß rauszukommen.

Frederiksberg – eine Stadt in der Stadt

Frederiksberg ist das Nobelviertel von Kopenhagen und kommunalpolitisch ein Kuriosum. Es liegt als eigenständige Gemeinde mit 103.000 Einwohnern mitten in der City von Kopenhagen und konnte sich bis 2007 erfolgreich gegen eine Eingemeindung wehren.

Wie Frederiksberg zur vornehmsten Wohngegend wurde, erklärt die Geschichte: Im Jahr 1651 erlaubte König Frederik III. 20 niederländischen Bauern, die karge Insel Amager südlich von Kopenhagen zu verlassen und bot ihnen stattdessen ein Stück Land außerhalb der Stadtmauern von Kopenhagen an, das heutige Frederiksberg.

Sie nannten ihr Dorf "Ny Hollaenderby". Doch der Ertrag war auch hier nur gering und zu guter Letzt vernichtete 1697 ein Brand den Ort. Die Bauern konnten die Steuern nicht mehr bezahlen und mussten das Land verlassen.

Der Besitz fiel an die Krone zurück, inzwischen an König Frederiks Sohn, Christian IV. Dieser ließ 1703 einen Palast auf den Hügel des Geländes bauen und nannte ihn Frederiksborg.

Am Fuße des Hügels entstanden prächtige Landhäuser und edle Restaurants. Das ehemalige Bauerndorf Ny Hollaenderby wurde in "Frederiksberg" umbenannt. Wohlhabende Kopenhagener, die die Nähe der Königsfamilie suchten, zogen her.

Mitte des 19. Jahrhunderts sah sich das Parlament in Kopenhagen vor neue Aufgaben gestellt: Mit zunehmender Industrialisierung musste Wohnraum für die Fabrikarbeiter geschaffen werden. Platz war nur noch außerhalb der Stadtmauern. So wurde 1852 das Verbot aufgehoben, außerhalb der Stadtmauern zu bauen. Die Bevölkerungszahl wuchs.

Frederiksbergs Nachbargemeinden wurden von Kopenhagen Zug um Zug eingemeindet, nur Frederiksberg nicht. Das hatte politische Gründe. Das sozialdemokratische Frederiksberg fürchtete, sich mit dem konservativen Umland arrangieren zu müssen.

Umgekehrt sah das nicht anders aus. So wurde Frederiksberg 1901 von der Stadtkommune Kopenhagen vollkommen umschlossen. Damit war Frederiksberg eine eigenständige Stadt in der eigenständigen Kommune Frederiksberg mit einer eigenen Stadt- und einer Kommunalverwaltung.

Chinesische Brücke im Park Frederiksberg | Bildquelle: Imago/Stefan Balzerek

Dass die Steuergelder der wohlhabenden Frederiksberger stets in den eigenen Gemeindesäckel wanderten und nicht auf ärmere Bezirke Kopenhagens verteilt wurden, sah man der Stadt an. Sie besaß ein eigenes Krankenhaus, eine Rettungs- und Polizeistation. Es gab ein eigenes Rathaus, neun öffentliche Schulen, drei Privatschulen, eine Fachhochschule und die Königlich Dänische Offiziersakademie.

In Frederiksberg liegt seit 1859 der Zoologische Garten, die Königliche Porzellanmanufaktur von 1738 und oben auf dem Berg das königliche Schloss Frederiksborg.

Auch wenn Frederiksberg 2007 das Privileg der Eigenständigkeit an Kopenhagen verloren hat, hebt es sich noch immer ab: Luftbildaufnahmen zeigen inmitten der Metropole Kopenhagen große Grünflächen und nur wenige Straßen – eine Wohnidylle.

Der "Freistaat Christiania"

Eine weitere Insel inmitten der Stadt Kopenhagen ist der "Freistaat Christiania", entstanden im Herbst 1971 durch Aussteiger, Studenten, Arbeitslose und Obdachlose. Eine eigene "Freiheitsstatue" und eine rote "Staatsflagge" mit drei gelben Punkten hat diese alternative Enklave in bester Wohnlage neben der einstigen Stadtbefestigung.

Die Gründung des "Freistaates Christiania" begann mit der Besetzung leer stehender Kasernen auf Christiansholm. Ziel der sogenannten Christianitter war es, ein "selbstbestimmtes Leben" zu führen. Doch die Gegner des Sozialexperiments wiesen auf das unbestreitbare Drogenproblem hin.

Pfahlbauten im "Freistaat Christiania" | Bildquelle: wdr

Das Verteidigungsministerium, Eigentümerin des Kasernengeländes, erwog daher immer wieder, die Siedlung zu räumen. Erst nachdem Christiania drogenfrei war, wollte man es offiziell anerkennen.

Rund 1000 Menschen lebten dort in selbst gebauten Häusern und gut renovierten Kasernen und jeder musste einen Teil seines Einkommens an die Gemeinschaft abführen.

Nach 20 Jahren, im Herbst 1991, unterzeichneten die Christianitter mit dem Verteidigungsministerium einen Vertrag, der ihnen das Bleiberecht zusicherte. Allerdings mussten sie nun regelmäßig Strom und Wasser bezahlen und die wild gebauten Hütten abreißen.

Die Entscheidung, den "Freistaat" zu akzeptieren, hatte angesichts leerer Kassen weniger mit liberalem Denken zu tun als mit einem finanziellen Kalkül.

Eine Studie über die Kosten einer Räumung und die Folgekosten zeigte, dass ein Christianitter im "Freistaat" für die Stadt Kopenhagen billiger war, als ein Christianitter, der mit öffentlichen Geldern eine Wohnung bekam, Sozialhilfe und die Beiträge zur Krankenkasse.

Das Bleiberecht galt allerdings nicht unbegrenzt. Als neue Häuser in der grünen Oase für "ganz normale Kopenhagener" entstanden, sollte 2004 das vorläufige Bleiberecht gekündigt werden. In einem Gerichtsverfahren im Mai 2009 wurde entschieden, die Häuser binnen 18 Monaten zu räumen.

Doch im April 2011 folgte die Kehrtwende. Die Bewohner Christianias stimmten dem Angebot der dänischen Regierung zu, ein Teil des Areals für umgerechnet 10 Millionen Euro zu kaufen und einen weiteren Teil für etwa 800.000 Euro im Jahr zu mieten.

Die Regeln des Freistaates blieben unangetastet, lediglich Sicherheitsauflagen der Baubehörde mussten befolgt werden. Der Anwalt des Freistaates, Knud Foldschack, beschrieb diesen historischen Schritt so: "Christiania wird jetzt von einem anarchistischem Ort mit spannenden Ideen zu einem legalen Experimentarium werden."

"Freistaat Christiania" von oben | Bildquelle: dpa Picture-Alliance/Polfoto/Marianne Holdt

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 23.07.2019)

Mehr bei Planet Wissen