Mädchenschwarm mit "dürren Beinchen"
Die Welt stand Anfang der 1960er-Jahre noch auf Swing und Jazz statt auf Rock'n'Roll. Nur nicht Horst Fascher, ein Hamburger Boxer, und die anderen harten Kerle von der Reeperbahn. Und auch nicht ihre Mädchen.
"Die sind in Scharen den Beatles nachgelaufen. Das Publikum war so begeistert, weil sich die Jungs mit ihren Songs identifizierten. Auch wenn es Coverversionen waren, machten sie ihre eigene Musik daraus – mit Herz und Seele."
Fascher selbst war anfangs von den Beatles nur mäßig begeistert. "Aber die Ladies, die spielten gleich verrückt. Dabei sahen die Jungs mit ihren Milchgesichtern und den dürren Beinchen damals aus wie der Storch im Salat."
Aber feiern konnte man mit ihnen, weiß Fascher zu berichten. Wenn sie fertig gespielt hatten, gegen vier Uhr morgens, zogen sie gemeinsam mit Horst in die nächste Bar. "Ihre Drinks haben sie fast immer kostenlos bekommen."
Wenn dann die Sonne aufgegangen war, ging's zum Frühstück ins Café Möller. Rührei mit Schinken. Oder warme Blutwurst. Das musste dann reichen bis zum nächsten Morgen, denn verdienen konnte man mit Musik damals so gut wie nichts.
"Nicht mal für den Waschsalon hatten sie Geld. Ihre dreckigen Unterhosen hab ich meiner Mutter gebracht – die hat die dann in unserer Küche auf dem Herd durchgekocht."
Der Star-Club wird eröffnet
"Die Not hat ein Ende!", stand auf den Plakaten zur Eröffnung des legendären Star-Clubs auf der Großen Freiheit. 1962 war das, wenige Monate nach der großen Sturmflut.
Zu viel versprochen war das nicht, denn der Star-Club setzte Maßstäbe: kein dumpfes Kellerloch wie die anderen Lokale auf St. Pauli, sondern ein richtiger Musiktempel im ehemaligen Stern-Kino auf der Großen Freiheit 39.
Ordentliche Bühne mit gelbem Vorhang, große Hufeisen-Sitze aus rotem Leder, Musikanlage und Boxen vom Feinsten. Und dazu die besten Rock-Bands, die man bekommen konnte – ausgesucht und gebucht von Horst Fascher.
Bei der Eröffnung am 13. April waren die Beatles die Hauptband. Auch in den Wochen danach konnten die Mädchen die Jungs aus Liverpool im Star-Club anhimmeln.
"Jeden Abend standen sie auf der Bühne, oft die ganze Nacht durch – das schafft ein normaler Mensch eigentlich gar nicht." Preludin hieß das Wundermittel, mit dem es trotzdem ging: ein Abführmedikament, das in Kombination mit Alkohol eine verlässliche Hallo-wach-Pille abgab.
"Wir haben das damals gefressen wie das Krümelmonster Kekse. Dass das eigentlich eine Droge war, darauf sind wir erst später gekommen. Das gab's damals ja in jeder Apotheke."
Lehrjahre einer Live-Band
Trotz ihres Auftrittsmarathons, der an die Grenzen ging – die Zeit in Hamburg hat sich für die Beatles gelohnt, ist sich Fascher sicher: "In Hamburg sind sie perfekte Entertainer geworden. Ohne die Zeit hier hätten sie später nicht so viel Erfolg gehabt."
Um die 1500 Stunden sollen die Fab Four in Hamburg gespielt haben und immer wieder auch im Star-Club. Horst Fascher passte auf sie auf wie ein gewissenhafter Herbergsvater. Schmutz unter den Fingernägeln duldete er nicht, Zuspätkommen auch nicht.
Einmal war John kurz vor einem Auftritt spurlos verschwunden. Fascher fand ihn auf der Toilette – aber nicht allein. "Da hab ich ihn weggezerrt von der Frau, hab ihm die Gitarre in die Hand gedrückt und ihn schnurstracks auf die Bühne geschickt." Verärgert riss John im Weggehen die Klobrille aus der Halterung und hängte sie sich für seinen Auftritt um den Hals.
"Die Künstlertypen im Publikum haben das dann mal wieder als Beispiel für seinen absurden Humor genommen. Dabei war John damals einfach nur ein alberner, jähzorniger kleiner Junge."
Und wie kleine Jungs nun mal sind, sollen auch alle vier Beatles richtig unordentlich gewesen sein. "Ihre Zimmer waren reine Höllen, da lag alles herum. Die Reinemachefrauen haben oft gesagt: 'Herr Fascher, da geh' ich nicht mehr rein. Das sollen die selber sauber machen.' "
Unberechenbarer John, charmanter Paul
"Die Vier waren sehr unterschiedlich. Ich habe sie alle gemocht, wir schwammen auf einer Welle, sind im gleichen Milieu aufgewachsen. Hamburg und Liverpool hatten ja sehr ähnliche Seiten, beides Hafenstädte. Ringo war der Kasper; Harrison der Ruhige, Zurückgezogene."
Und John Lennon, berichtet Fascher, sei ein richtiger Künstlertyp gewesen, respektlos und unberechenbar. "Sex, Drugs and Rock'n' Roll haben sie wirklich in Hamburg gelebt. Vor allem John war sehr experimentierfreudig, nicht nur mit Mädels, sondern auch mit Jungs. Den hab ich mal in flagranti erwischt."
Fascher erzählt gerne von Lennons wildem Leben auf St. Pauli, aber auch von seinem Humor und der von Konkurrenz geprägten Freundschaft zu McCartney.
"John hat die Band ganz schön dominiert. Was er sagte, wurde gemacht, und die anderen haben gekuscht." Besonders George, der Jüngste – aber auch Paul. "Dabei wäre ohne Paul nie etwas geworden aus ihnen. Er hat sie immer angetrieben, war ungeheuer ehrgeizig." Und mindestens ebenso charmant.
Was ihr späterer Manager Brian Epstein aus den Beatles gemacht hat, schmeckt Horst Fascher allerdings nicht. Mit ihren Anzügen und Krawatten hätten sie ausgesehen wie Muttersöhnchen – viel zu brav und nett.
"Hier in Hamburg waren das richtige Rocker gewesen, mit allem, was dazu gehört. Die haben mindestens so viel Schweinkram gemacht wie die Stones. Auch wenn man die später immer als die viel Wilderen hingestellt hat."
Für McCartney bleibt er "Horsti"
Als die Beatles Mitte der 1960er-Jahre auf dem Höhepunkt ihrer Karriere waren und für ein Konzert zurück nach Hamburg kamen, konnte sie ihr alter Freund Horst Fascher nicht treffen, denn er saß im Untersuchungsgefängnis.
Sein Bruder erzählte ihm am Tag nach dem Konzert, dass die Vier ihrem ehemaligen Hamburger 'Herbergsvater' ein Lied gewidmet hätten. John Lennon habe "Roll Over Beethoven" so angekündigt: "Der nächste Song ist speziell für unseren alten Hamburger Freund Horst Fascher, der heute leider nicht hier sein kann."
Fascher ist nach vielen Jahren noch berührt davon, dass die Beatles ihn nicht vergessen hatten, als sie in den Olymp der Musik aufgestiegen waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert danach verbindet ihn mit einem Beatle noch eine Freundschaft.
"Paul wurde ein wahrer Freund, er nennt mich heute noch manchmal Horsti, weil meine Mutter das immer gesagt hat." Wie tief sich der Weltstar McCartney mit Fascher verbunden fühlt, bewies er ihm Mitte der 1990er-Jahre, als er Faschers kranker Tochter Marie-Sophie eine teure Herzklappen-Operation finanzierte. Doch leider konnte die Operation ihr nicht mehr helfen.
Erinnerungen an die gute alte Zeit des Rock’n’Roll
Der Star-Club wurde Ende der 1960er-Jahre geschlossen. Horst Fascher startete in den 1970er-Jahren einen neuen Anlauf mit dem Star-Club II, unter den Gästen zur Eröffnungsparty war der Beatle Ringo Starr.
Fascher brachte noch einmal Weltstars wie Bill Haley auf die Hamburger Bühne. Trotzdem war der Erfolg des Clubs nur mäßig – die Zeiten hatten sich geändert. Noch in den 1970ern wurde er wieder geschlossen.
Vor allem der erste Star-Club auf der Großen Freiheit 39 ist es, der in Faschers Erinnerung so lebendig geblieben ist. "Dass es da nur diesen kleinen Gedenkstein im Hinterhof gibt, ist ein Skandal." Besonders, wenn der Gedenkstein fast wie ein Grabstein aussieht: schwarz mit Goldschrift und glatt poliert.
Doch Fascher ist froh, dass die Hansestadt nun endlich ihre berühmten Gäste zu würdigen weiß – mit einem Beatles-Platz, natürlich auf der Reeperbahn, und mit vielen Beatles-Stadttouren.
Fascher selbst hat seine Erlebnisse mit der wohl berühmtesten Band aller Zeiten aufgeschrieben und sie gemeinsam mit Fotos und Geschichten anderer Bands veröffentlicht. In seiner Autobiografie "Let The Good Times Roll!" (2006) und in "The Guy, Who Brought..." (2010) führt er zurück in die 1960er-Jahre, als der Star-Club ein leuchtender Stern am Hamburger Himmel war.
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 05.02.2020)