Flamenco
Gesang, Tanz, Gitarre: die drei Gesichter des Flamenco
Sie sind die drei wesentlichen Bestandteile des Flamenco: Gesang, Tanz und Gitarre. Normalerweise nehmen die Zuschauer den Flamenco als perfektes Zusammenspiel dieser drei Bestandteile wahr. Für den traditionellen Flamenco-Liebhaber besitzen sie aber nicht den gleichen Stellenwert.
Von Johannes Hirschler
El cante – Der Gesang
Für die Traditionalisten hat der Gesang den höchsten Stellenwert. Gitarrenspiel und Tanz sind wichtiges, aber letztlich verzichtbares Beiwerk.
Im Stimmideal des Flamencos spiegelt sich eine Mischung aus Schmerz, Not und Verzweiflung als grundlegendes Lebensgefühl: Die Stimme klingt gepresst, rau, oft heiser, zugleich brüchig und kraftvoll. Manche Sänger singen auch mit der Kopf- oder Falsett-Stimme und einige Sängerinnen glänzen mit der sogenannten "voz fácil", die eher sanft und leicht klingt.
Für die Melodien sind Kleintonschritte typisch, die zwischen den Tönen der gebräuchlichen Tonleiter liegen und orientalisch klingen, und das Portamento, das stufenlose Gleiten vom einen Ton zum anderen. Auch die Dehnung und variable Wiederholung einzelner Silben ist häufig zu hören, sowie starkes Lippen- und Kehlkopf-Vibrato.
Vermutlich gibt es etwa 50 verschiedene Typen des cante – melodisch, rhythmisch und harmonisch unterschiedliche Grundmodelle. Sie unterscheiden sich etwa darin, ob sie einem Taktschema folgen oder eher frei, ohne festes Zeitmaß gesungen werden. Oder darin, von welchen Liedformen sie sich ableiten, etwa den andalusischen Fandangos oder lateinamerikanischen Formen wie Rumba oder Tango.
Die "coplas", die Texte, sind kurze, lyrische Gedichte in einer lebensnahen und zugleich poetischen Sprache. Eine Besonderheit des Flamenco-Gesangs ist auch die Vortragsweise, bei der die Strophen und gelegentlich sogar einzelne Worte ohne Rücksicht auf Zeilengliederung oder Sinneinheiten zergliedert werden.
Der Flamenco-Sänger Diego El Cigala
El baile – Der Tanz
Der ursprüngliche Flamenco-Tanz ist ein Einzeltanz und wurde anfangs nur von Frauen getanzt. Wie bei der Musik zeigt sich auch hier der orientalische Einfluss: Die Tänzerinnen bewegen sich im Verhältnis zu den Männern eher weich und von der Hüfte an aufwärts.
Generell ist der Flamenco-Tanz eher introvertiert. Die Tänzer bewegen sich auf engem Raum, machen keine großen Sprünge, die eng geführten Bewegungen sind hauptsächlich nach unten gerichtet.
Die für uns heute typische markante Fußtechnik, der "Zapateo", breitete sich erst in unserem Jahrhundert aus. Er kennzeichnet vor allem den heftigeren und kraftvolleren Tanzstil der Männer, bei denen die Fußtechnik im Vordergrund steht.
Bei den Frauen dominiert die Armführung. Auch die Neigung des Oberkörpers, der Hüftschwung und das Zucken der Schultern sind ihnen vorbehalten.
Grundsätzlich ist der Tanz abstrakt, er veranschaulicht weder ein Thema noch imitiert er eine Handlung. Ein Tänzer oder eine Tänzerin muss die einem bestimmten Tanz zugeordneten Bewegungsabläufe kennen und unerbittlich den Rhythmus halten können. Welche Bewegungen sie aber im Einzelnen ausführen, hängt nur von ihren aktuellen Gefühlen und ihren Improvisationsfähigkeiten ab.
Im Laufe seiner Geschichte integrierte der Flamenco-Tanz viele Einflüsse aus Volk- und Modetänzen wie auch aus dem Klassischen Ballett und modernen Tanzstilen.
Flamenco-Tänzerin
El toque – Das Gitarrenspiel
Ursprünglich war der Flamenco-Gesang unbegleitet, oder er wurde mit den Mittel des "son" unterstützt – Tönen, die man mit dem Körper erzeugen kann, wie Händeklatschen, Klopfen mit den Knöcheln auf den Tisch, Fußstampfen und Fingerschnipsen.
Die Begleitung mit der Gitarre ist erstmals für das 16. Jahrhundert belegt. Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein üblich, als der Flamenco in den "cafés cantantas" ein größeres Publikum anzog.
Die Hauptaufgabe des Gitarristen ist die Begleitung des Gesangs, die rhythmische und melodische Unterstützung. Zwischen den Abschnitten des Gesangs fügt er Falsetas ein, solistische Melodielinien, die die Gesangsparts verbinden und erweitern. Sie orientieren sich am Stil des jeweiligen "cante".
Im Verhältnis zur normalen Konzertgitarre ist die Flamenco-Gitarre in der Regel kleiner und leichter. Durch ihre besondere Bauweise mit einer leichten Deckenkonstruktion aus Fichte verfügt sie über einen hellen und aggressiven Klang.
Für die Spielweise ist das "rasgueado" typisch, bei dem die Schlaghand wie ein sich öffnender Fächer über die Seiten gleitet; das Klopfen und Schlagen auf die Resonanzdecke und die Improvisation der "falsetas".
Vom bloßen Begleiten haben sich die Flamenco-Gitarristen längst gelöst und den Flamenco zu einer hochvirtuosen, eigenständigen Musik weiterentwickelt.
Flamenco-Gitarrist Paco de Lucia
Sonderfall Kastagnette
Die Kastagnetten, "palillos" genannt, die im Flamenco verwendet werden, waren schon in Spanien und Unteritalien verbreitet, bevor die ersten Roma im 15. Jahrhundert Spanien erreichten. Sie werden auch in der andalusischen Volksmusik und im klassischen Orchester eingesetzt, sind also nicht extra für den Flamenco entwickelt worden.
Auf ihrer Jahrhunderte langen Reise, die die Roma von Nordindien bis nach Spanien führte, eigneten sie sich immer wieder die Instrumente fremder Länder an und machten umgekehrt ihre eigenen in diesen Ländern heimisch.
So brachten sie beispielsweise aus dem Iran den "Santur" mit, aus dem sich in Ungarn das "Czimbalon" genannte Hackbrett entwickelte; und aus der heutigen Türkei den "kemançe", einer der Vorgänger unserer modernen Geige. Auch die Rahmentrommel, die in vielen Volksmusiken Europas eine Rolle spielt und auch im Flamenco verwendet wird, stammt aus dem Orient.
Kastagnetten gehören nicht originär zum Flamenco
(Erstveröffentlichung 2004, letzte Aktualisierung 31.07.2018)
Quelle: WDR