Brot und Spiele im Barock
Ein Volk lässt sich besser regieren, wenn man ihm Brot und Spiele gibt – also für genügend Nahrung und Unterhaltung sorgt. Nach diesem Grundsatz "panem et circenses" der römischen Kaiser handelten auch die weltlichen und kirchlichen Herrscher im Zeitalter des Barock.
Gerade in dieser Epoche, ab Mitte des 17. Jahrhunderts, erlebte das deutschsprachige Theater eine ungeahnte Blütezeit. Das einfache Volk ergötzte sich an den derben Stücken von Wanderschauspielern, die oberen Schichten erfreuten sich an den aufwändig in Szene gesetzten Bühnenwerken von Autoren, die am Hofe gut gelitten waren.
Um politischen Einfluss zu nehmen, nutzte jede Seite die Beliebtheit des Schauspiels auf ihre Weise: die katholische Kirche, um neuen Glaubensströmungen entgegenzuwirken, die evangelische Kirche, um eben diese Reformen populär zu machen und die weltlichen Fürsten, um ihre Macht auch auf kulturellem Parkett darzustellen.
Bühnenausstattung und Bühnentechnik wurden ständig auf den neuesten Stand gebracht. Aus dem fahrenden Volk der Schauspieler, das keinen sonderlich guten Ruf genoss, wurde eine angesehene Schicht, die nun in fester Anstellung und in festen Ensembles in prachtvollen Theaterpalästen arbeiten konnte.
Neuer Theatergeist
Doch dann regte sich gegen das absolutistisch beeinflusste Theater der Barockzeit Widerstand. Unmut machte sich in den intellektuellen Kreisen breit. Der freie Geist der Aufklärung fand mehr und mehr Anhänger. Das Machtgefüge der alles überthronenden Herrscher geriet ins Wanken.
Dieser neue Geist schlug sich auch in den Bühnenwerken der Dichter und in der Darstellungsform der Schauspieler nieder. Einer der Erneuerer war Johann Christoph Gottsched (1700-1766). Mit seinem Grundkonzept wurde er zum Mitschöpfer des Neuen Deutschen Theaters.
Eine seiner Regeln war die Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Seiner Anschauung nach sollten die Stücke ohne Szenenwechsel lediglich an einem Ort und nur an einem Tag spielen. Dieses Konzept erwies sich allerdings als zu starr und war der neuen freien Bühnenkunst wenig förderlich. Doch Gottscheds Forderung nach einer Haupthandlung, auf die alle Nebenhandlungen abgestimmt werden müssten, setzte sich durch und wurde wegweisend.
Nach Gottscheds Willen sollten auch die derben und platten Albernheiten von der ernsthaften Bühne verbannt werden. Er setzte sich für niveauvolles Theater ein.
Wichtige Unterstützung erhielt der Theaterreformer von der Schauspielerin und Theaterfrau Karoline Neuber. Sie hielt sich mit ihrer beliebten Schauspieltruppe an die wichtigsten Grundsätze aus Gottscheds Regelwerk und setzte seine Ideen in die Tat um.
Lessing, Goethe, Schiller & Co
Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) übte zwar harte Kritik an Gottscheds strengen Vorgaben, doch die These von der Einheit der Handlung beherzigte er mit Überzeugung und Erfolg. Seine Stücke "Nathan der Weise" oder "Minna von Barnhelm" wurden zu Kassenschlagern jener Zeit und gehören auch heute noch zum wichtigen Theaterrepertoire.
Lessing war ein Kind der Aufklärung und scheute sich nicht, sozialkritische Aussagen in seine Stücke einzubauen. Diese Offenheit sorgte mitunter für Verdruss am Hofe.
So war Preußenkönig Friedrich II. nicht gerade begeistert von Lessings Werk "Minna von Barnhelm". Das Stück kam 1767 auf die Bühne, vier Jahre nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, in dem Preußen gegen Österreich gekämpft und verlustreich gesiegt hatte. Lessing führte das Lustspiel zwar zu einem glücklichen Ende, aber die wirklichkeitsnahe Rolle des durch den Krieg verarmten und verstümmelten preußischen Majors von Tellheim traf nicht den Geschmack des Königs.
Von hoheitlichem Unmut ließ sich die junge Generation der deutschen Dichter und Denker jedoch nicht beeindrucken. Schriftsteller wie Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller wurden zu den einflussreichsten Vertretern der temperamentvollen Sturm-und-Drang-Periode in der Theaterliteratur.
Mit frühen Werken wie "Götz von Berlichingen" oder später "Hermann und Dorothea" (Goethe) und "Kabale und Liebe", "Wallenstein" oder "Die Räuber" (Schiller) wurden die beiden befreundeten Dichter zu den Begründern der Weimarer Klassik. Ihre Bühnenwerke zählten damals und zählen noch heute zu den meistgespielten Theaterstücken.
Romantische Welle im Biedermeier
Ein Zeitgenosse von Goethe und Schiller, und einer der damals herausragenden Bühnendarsteller, war August Wilhelm Iffland (1759-1814). Seine Ausdruckskraft und realistische Verkörperung von Bühnenrollen wurden beispielhaft für die neue deutsche Theaterbewegung, die gegen Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt fand.
Die napoleonischen Kriege und der anschließende Politikverdruss der Biedermeierzeit brachten den kritikfreudigen Schwung der jungen deutschen Theaterszene für einige Jahre zum Erlahmen. Eine neue Strömung setzte sich durch: die Romantik.
Man suchte nun den Gegenpol zu den wirklichkeitsnahen Stücken in phantasievollen Traumwelten, die auf die Bühne gebracht wurden. Die verklärte Verbindung zwischen Mensch und Natur in einer idealisierten Welt wurde in den Mittelpunkt gestellt und fand ihren Niederschlag in den Bühnenwerken und Dichtungen von Novalis, den Gebrüdern Schlegel, von Ludwig Tieck, Joseph von Eichendorff oder Heinrich von Kleist. Sie zählten zu den Hauptvertretern der Romantik, die bis in die 1830er-Jahre dauerte.
Lustspiele wie "Der gestiefelte Kater" oder die "Freier", Dramen wie "Das Käthchen von Heilbronn" oder "Prinz von Homburg" zogen damals Publikumsmassen in die Schauspielhäuser. Dieses eher unkritische Theater fand viele Freunde und Förderer in den Fürstenhäusern.
Viele Landesherren sehnten sich in dem durch den Wiener Kongress neu geordneten Europa nach einem Wiedererstarken ihrer Macht wie zu absolutistischen Zeiten. Die Reaktion der Bürger ließ nicht lange auf sich warten. 1832 wurde bei einer Großkundgebung auf dem Hambacher Schloss die Absetzung der Fürstenhäuser und die Einführung der Republik gefordert. 1848 kam es schließlich in weiten Teilen Deutschlands zum bewaffneten Aufstand, der blutig niedergeschlagen wurde.
Reform zwischen Revolution und Industrialisierung
In den Jahren nach der Revolution setzte ein wahrer Theaterbauboom ein. Neben den Theatern der deutschen Metropolen Berlin und München existierten bald noch weitere 150 kleinere Hof- und Stadttheater, von denen sich vor allem das thüringische Meiningen einen hervorragenden Ruf in der Theaterlandschaft erwarb. Auf dem Spielplan dieser Häuser standen vor allem Stücke von Goethe, Kleist, Schiller und Shakespeare. Zu Lichtgestalten der Bühne wurden Schauspieler wie Kainz oder Stury, die vom bayerischen König Ludwig II. protegiert wurden.
Bald ließen sich aber auch die neuen gesellschaftlichen Strömungen nicht länger ignorieren und sorgten auch in der Theaterszene für eine allmähliche Neuorientierung und sozialkritische Bühnenstoffe. Allerdings unterlagen die Werke einer strengen Aufsicht durch die Zensurbehörden. Da aber eine neue Revolution befürchtet wurde, ließ man eine kontrollierte Demokratisierung auf den Bühnen zu.
Zum langsamen politischen Umschwung kam die ständig zunehmende Industrialisierung. Die Dichter reagierten auf diesen Wandel von Wirtschaftsleben und Weltanschauung. Die Romantik wurde vom Realismus abgelöst.
Eines der einflussreichsten gesellschaftskritischen Stücke war Gerhart Hauptmanns "Die Weber". In dem 1894 uraufgeführten Werk schildert er die schlesischen Weberaufstände von 1844 und prangert darin Ausbeutung und Unterdrückung an. Das Theater war auf dem Weg in die Moderne.
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 20.12.2019)