Ohne künstliche Bewässerung gäbe es in Ägypten keine Landwirtschaft

Nil

Nilometer

Der fruchtbare Schlamm der alljährlichen Nilschwemme war und ist für die Landwirtschaft im Norden Sudans und in Ägypten unentbehrlich. Bis zum Bau des Assuan-Staudamms mussten die Bauern dem Takt seiner Fluten folgen.

Von Lothar Nickels

Am Puls des Stroms

Im Ägypten der Pharaonen gliederten die Bauern ihren Kalender in drei Jahreszeiten: die Monate der Überschwemmung durch den Nil, der Aussaat und der Ernte. Die starken Monsunregenfälle im äthiopischen Hochland sind der Grund für die Überschwemmungen.

Durch Auswaschung in den Hochebenen reichert sich das Nilwasser dort mit mineralhaltigem Schlick an, der das Uferland in Ackerboden verwandelt. Ohne die Nilschwemme wäre ein Leben in dieser Region kaum möglich.

Früher war der Nil-Wasserpegel in den Monaten Mai bis Juni am niedrigsten. In den Folgemonaten stieg das Wasser kontinuierlich an. Der nährstoffreiche Schlamm überflutete das gesamte Flusstal und das Delta. Gegen Ende September war für die Bauern die Zeit der Aussaat gekommen. Es gab in altägyptischer Zeit nur eine Ernte pro Jahr.

Der Wasserstand bestimmte also den Lebensrhythmus der Menschen. Gleichzeitig hing auch ihre Existenz unmittelbar von den Überschwemmungen ab. In manchen Jahren waren sie so gering, dass keine ausreichenden Erträge erwirtschaftet werden konnten. Die Vorräte wurden knapp, was Hungersnöte zur Folge hatte, die viele Menschen das Leben kosteten.

Es gab aber auch Jahre, in denen der Nil so viel Wasser führte, dass Deiche, Kanäle und ganze Ortschaften zerstört wurden.

Der Nil unter Beobachtung

Die ägyptischen Bauern betrieben schon früh eine Form der Landwirtschaft, bei der sie die Bewässerung der Felder mit Dämmen und Kanalsystemen steuerten. So wurden auch Ländereien urbar gemacht, die nicht unmittelbar am Ufer lagen.

Die Felder selbst waren von Gräben durchzogen, in denen jeweils kleine Schleusen mithilfe von Holzschiebern geöffnet werden konnten. Das machte es möglich, die gesamte Fläche unabhängig vom Gefälle gleichmäßig zu bewässern. Dieses ausgeklügelte System brachte höhere Erträge ein, weil das Wasser auch in Zeiten der Knappheit effizienter genutzt werden konnte.

Voraussetzung dafür war es allerdings, den Wasserstand genau und regelmäßig zu beobachten. Dafür bauten die Ägypter an unterschiedlichen Stellen des Flusslaufes so genannte Nilometer. Diese Messstationen waren spezielle Brunnenanlagen, die durch einen Röhrenschacht Verbindung mit dem Fluss hatten.

Schöpfbrunnen am Nil.

Schöpfbrunnen am Nil

Das Wasser sammelte sich in einer Kammer, in der es entsprechend dem Pegelstand stieg oder fiel. Über Stufen war ein Zugang zu dieser Kammer möglich. An den Wänden gab es eingemeißelte Markierungen, die den Pegel anzeigten. Gemessen wurde in Ellen. Stieg die Flut bis auf 16 Ellen an, war die Ernte für dieses Jahr gesichert. Weniger als 16 Ellen bedeutete keine oder nur eine geringe Ernte.

Die Last der Steuern

Diese Information war für die staatliche Verwaltung sehr wichtig. Zum einen berechnete sie daraus die Steuerabgaben in Form von Getreidesäcken, die aus der zu erwartenden Ernte zu entrichten waren. Brachte der Nil ausreichend Wasser mit sich, wurden folglich höhere Steuern veranschlagt.

Zum anderen wurde in Zeiten der Wasserknappheit die Bewässerungsmenge für die jeweiligen Anbauflächen festgelegt. Denn es gab künstliche Wasserbecken, in denen Wasservorräte gesammelt wurden. Je nach Größe und Lage wurden die Felder versorgt.

Nach jeder Nilschwemme waren aber auch die Grenzen von Schlamm verdeckt oder Grenzmarkierungen weggespült worden. Also wurden die Felder jedes Jahr neu vermessen. Nur so konnte der Besitz des Einzelnen gewahrt werden, was einherging mit gerechter Besteuerung und Bewässerung.

Feld am Nil

Jedes Jahr wurden die Felder neu vermessen

Quelle: SWR | Stand: 02.06.2020, 11:51 Uhr

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