Anden

Die Erschließung der Anden

Kaum waren die Europäer im 16. Jahrhundert in den Anden angekommen, zog es sie auf die Gipfel der Sechstausender. Sie waren nicht die Ersten: Schon lange vor ihnen hatten die Inka die höchsten Berge erklommen – wenn auch aus ganz anderen Beweggründen.

Von Tobias Aufmkolk

Opfer für die Götter

1995 machen die beiden Archäologen Johan Reinhard und Miguel Zárate eine sensationelle Entdeckung. Bei der Besteigung des 6310 Meter hohen peruanischen Vulkans Nevado Ampato entdecken sie plötzlich am Kraterrand den gefrorenen Leichnam eines Kindes aus der Zeit der Inka. Die nachfolgenden wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben, dass das etwa 14-jährige Mädchen eines gewaltsamen Todes gestorben war.

Nur vier Jahre später entdeckt ein Archäologenteam aus den USA, Peru und Argentinien drei Frauenleichen auf dem 6706 Meter hohen Gipfel des argentinischen Vulkans Llullaillaco. Auch diese drei Frauen starben eines gewaltsamen Todes. Doch warum geschah dies in einer derart großen Höhe?

Inkamumien in eisiger Höhe | Bildquelle: dpa/Johan Reinhard

Immer wieder werden seit den 1930er-Jahren Eismumien aus der Inkazeit in den Anden gefunden. Die Vermutungen der Archäologen sind ebenso grausam wie sensationell. Die einst weit verbreitete Meinung über die Inka als friedliebendes Volk muss revidiert werden: Vieles scheint darauf hinzudeuten, dass die Eismumien Opfergaben für die Götter waren.

Dafür spricht vor allem, dass viele der geopferten Menschen Mädchen oder junge Frauen waren, die gesund und wohlgenährt waren. Diese galten bei den Inka als besonders rein. Die meisten gefundenen Mumien stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, eine Zeit großer Unruhen und Umwälzungen im Inkareich. Viel haben die Opfergaben jedoch nicht gebracht: Nur wenig später war das einst große Reich nur noch Geschichte.

Auf der Suche nach dem Goldland

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts macht unter den Spaniern in Panama ein Gerücht die Runde. Weiter im Süden soll es ein sagenhaftes Land geben, in dem es Gold im Überfluss gibt: El Dorado.

Sofort schicken sie einige Schiffe los, um dem Gerücht auf den Grund zu gehen. Kontakte mit Indios in den peruanischen Küstengebieten bestätigen ihre Annahme, doch noch scheinen die hohen Gipfel der Anden ein unüberwindliches Hindernis darzustellen.

Erst Francisco Pizarro wagt sich zusammen mit einer kleinen Schar von Gefolgsleuten 1532 tiefer ins Landesinnere, bis in die Hochebene von Cuzco. Binnen kurzer Zeit schafft er es, das riesige Inkareich zu erobern und unermessliche Reichtümer für sich und die spanische Krone zu sichern. Trotzdem glauben die Spanier immer noch nicht, das sagenhafte El Dorado gefunden zu haben.

Francisco Pizarro, spanischer Eroberer (Todestag 26.06.1541) WDR ZeitZeichen 26.06.2016 15:18 Min. Verfügbar bis 24.06.2096 WDR 5

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Flussriese statt Goldberge

1541 stellen Franciscos Bruder Gonzalo Pizarro und Francisco de Orellana einen 4000 Mann starken Tross zusammen. Sie wollen einem neuen Gerücht über die Lage des Goldlandes folgen. Diesmal soll es jenseits der Anden im Dschungel verborgen liegen. Die Spanier kämpfen sich von Quito aus durch die Anden und steigen in den tiefer gelegenen Dschungel ab.

Nach ein paar Monaten setzt sich Orellana mit 60 Mann vom Heer ab, um die Gegend zu erkunden und neuen Proviant zu beschaffen. Er lässt ein Schiff bauen und fährt einen reißenden Strom flussabwärts. Das Heer werden die Männer nie wieder sehen. Monatelang fahren sie weiter auf einem immer breiter werdenden Strom Richtung Osten, bis sie nach gut 6000 Kilometern den Atlantik erreichen.

Auf dem ganzen Weg finden sie keine Hinweise auf El Dorado, dafür haben sie ganz nebenbei den größten Strom der Welt entdeckt: den Amazonas. Gonzalo Pizarro hingegen kämpft sich mit seinen Truppen wieder zurück in die Anden.

Zwei Jahre benötigen er und seine 80 verbliebenen, ausgemergelten Mitstreiter dafür. Der Rest stirbt an Krankheiten, Unterernährung oder den Attacken der einheimischen Indianerstämme.

Orellana entdeckte nebenbei den Amazonas | Bildquelle: Mauritius

Im Dienste der Wissenschaft

Als 1799 ein deutscher Wissenschaftler Südamerika betritt, ahnt er nicht, dass er noch Jahrhunderte später auf dem gesamten Kontinent nahezu heldenhaft verehrt werden wird: Alexander von Humboldt zieht es vor allem wegen der Naturkräfte in ferne Gefilde. In Deutschland hatte sich Humboldt schon ausgiebig mit dem Vulkanismus beschäftigt, er ist fasziniert von den Kräften aus dem Erdinneren.

Alexander von Humboldt, Naturforscher (Geburtstag 14.09.1769) WDR ZeitZeichen 14.09.2019 14:58 Min. Verfügbar bis 11.09.2099 WDR 5

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In Ecuador findet er das ideale Forschungsobjekt: den 6267 Meter hohen Vulkan Chimborazo, der zu diesem Zeitpunkt noch als höchster Berg der Welt gilt. Zusammen mit dem Franzosen Bonpland kommt Humboldt zwar nur bis auf etwa 5900 Meter Höhe. Doch auf dem Weg hat er genug gesehen, um viele neue Erkenntnisse über die Feuerberge zu gewinnen.

Ganz nebenbei hat Humboldt dabei auch einen neuen Höhenrekord geknackt. Nie zuvor war es einem Menschen gelungen, in derart luftige Höhen vorzudringen – zumindest aus europäischer Sicht.

Humboldt war von seiner Wissbegierde getrieben | Bildquelle: Mauritius

Erstürmung der Gipfel

Humboldts bergsteigerischer "Erfolg" am Chimborazo spricht sich schnell herum in der westlichen Welt. Zahlreiche Nachahmer folgen ihm in die Anden, doch diesmal um in die Annalen der Bergsteigergeschichte einzugehen.

Die Erstbesteigung des Chimborazo gelingt jedoch erst dem Briten Edward Whymper im Jahr 1880. 17 Jahre später bezwingt der Schweizer Matthias Zurbriggen dann den höchsten Berg des Kontinents, den 6962 Meter hohen Aconcagua in Argentinien.

Als viel größere Herausforderung erweisen sich die bizarren Felsspitzen in Patagonien. Der 3375 Meter hohe Cerro Fitz Roy gilt lange als der schwierigste Kletterberg der Welt und wird erst 1952 das erste Mal erklommen.

Zu dieser Zeit gilt der 3128 Meter hohe Cerro Torre sogar als unbezwingbar. Seine vermeintliche Erstbesteigung im Jahr 1959 fordert einen hohen Tribut. Toni Egger, der Partner des italienischen Bergsteigers Cesare Maestri, verunglückt beim Abstieg vom Gipfel tödlich. Da Egger auch die Kamera mit sich reißt, die das Gipfelfoto enthält, ziehen viele Bergsteiger Maestris Schilderungen in Zweifel.

Erst 1974 findet die erste allgemein anerkannte und dokumentierte Gipfelbesteigung durch ein anderes italienisches Team statt.

Der Cerro Torre galt lange Zeit als unbezwingbar | Bildquelle: Imago

Höher, schneller, weiter – auf der Jagd nach Rekorden

Vielen Extremsportlern reicht es heutzutage nicht mehr, die Gipfel der Anden nur zu Fuß zu erklimmen. Immer gewagtere Expeditionen müssen her, um die Aufmerksamkeit der Medien wenigstens für einen Moment zu erhaschen.

Der knapp 6900 Meter hohe Ojos del Salado am Rand der Atacama-Wüste ist geradezu prädestiniert für Rekordversuche. Durch seine exponierte Lage in der trockenen Wüste liegt selbst in der Gipfelregion kaum Schnee. Dazu kommt, dass er außer der großen Höhe nur wenig bergsteigerische Ansprüche stellt.

So kommt es 2007 zu einem waghalsigen Rekordversuch: Der Chilene Gonzalo Bravo will mit einem umgebauten Motorrad den Gipfel bezwingen, ohne abzusteigen. Er schafft es bis auf eine Höhe von 6688 Metern, dann muss er umkehren.

Drei Jahre später begibt sich 2010 ein Team deutscher Extremsportler auf die Spuren des Chilenen – diesmal mit dem Fahrrad. Der Kölner André Hauschke schafft es dabei tatsächlich bis auf eine Höhe von 6085 Metern.

Der Ojos del Salado – Schauplatz von Rekordversuchen | Bildquelle: Mauritius

Auch der Aconcagua wird Schauplatz einer spektakulären Expedition. Anfang 2006 will ihn der italienische Drachenflug-Weltmeister Angelo d'Arrigo in 7400 Metern mit seinem Fluggerät überqueren. Der höchste Berg Südamerikas gilt wegen seiner extremen Windverhältnisse als besonders gefährlich. Nach monatelanger Vorbereitung gelingt d'Arrigo bereits der erste Versuch. Nur zwei Monate später aber stirbt er bei einem Flugzeugunglück in seiner sizilianischen Heimat.

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 13.07.2021)