Vom Wildtier zum domestizierten Haustier
Wer kennt heute noch das Deutsche Weideschwein? Diese alte Nutztierrasse ist in den 1960er-Jahren ausgestorben – ein Schicksal, das fast auch dem Bunten Bentheimer Schwein oder dem Pommernschaf widerfahren wäre, wenn es nicht engagierte Züchter gegeben hätte. Denn Kühe sind nicht nur schwarzweiß gefleckt und Schweine nicht nur hellrosa: Die Welt der Nutztierrassen war früher viel bunter.
Die Geschichte der Haus- beziehungsweise Nutztierhaltung ist lang. Bereits in der Steinzeit, vor mehr als 10.000 Jahren, begannen die Menschen, Schafe und Ziegen zu halten. Dazu mussten sie Wildtiere fangen und von der Herde isolieren, um sie an das Leben in Gefangenschaft zu gewöhnen.
Nur Tiere, die sich in der Obhut des Menschen fortpflanzen, eignen sich zur Domestikation. Die Tiere machten die Menschen damals zum ersten Mal vom Jagderfolg unabhängig. Sie täglich zu versorgen, bereitete jedoch viel Arbeit.
Mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht machte die Menschheit einen großen Sprung. Archäologen sprechen auch von der Neolithischen Revolution, denn die Tiere waren lebende Fleischkonserven, Milchspender, Arbeitshilfe und Lieferant für die Kleidung.
Erst auf dieser Grundlage konnten sich die großen Hochkulturen entwickeln. Die Geschichte der Domestikation begann an Euphrat und Tigris im heutigen Irak. Von dort verbreitete sich diese Errungenschaft über Nordafrika und Südspanien bis nach Mitteleuropa.
Schon früh wurden Haustiere für schwere Arbeiten eingesetzt
Aufstieg und Fall der Rassenvielfalt
Als der Römer Tacitus im Jahr 100 nach Christus nach Germanien kam, soll er ausgerufen haben, wie hässlich doch hier die Tiere seien. Jedes Schaf sehe anders aus. Doch bis sich klar definierte Rassen mit festgeschriebenen Eigenschaften und Aussehen etablierten, dauerte es noch lange.
Erst vor 200 Jahren wurden systematische Rassezüchtungen eingeführt. Dabei waren die Unterschiede von einem Dorf zum nächsten groß, man sprach auch vom "Kirchturmschlag" – von einem Kirchturm zum nächsten sahen die Kuhherden deutlich anders aus.
Mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begann das Sterben der Rassen. Die Nationalsozialisten forcierten in den 1930er-Jahren auch bei den Tieren eine "Rassenbereinigung": Drei bis vier Rassen pro Tierart sollten ausreichen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten sich zudem die Essgewohnheiten. Fettes Fleisch kam aus der Mode, denn die Menschen arbeiteten nicht mehr so hart und brauchten die Kalorien nicht mehr. Stattdessen waren fettarme Rassen gefragt.
Je industrieller die Tierproduktion wurde, desto spezialisierter auch die Rassen, die sich für die Landwirte lohnten. Von beispielsweise 30 Rindersorten in Bayern blieb nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch eine Handvoll übrig.
Eine rückgezüchtete alte Rasse: das Düppeler Weideschwein
Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH)
Alte Haus- und Nutztierrassen sind ein Kulturgut des Menschen, ein Beleg seiner züchterischen Leistung. Und die alten Rassen haben wertvolle Eigenschaften, die die Menschen für kommende Zuchtvorhaben bewahren sollten.
Dieser Überzeugung waren Anfang der 1980er-Jahre ein paar Veterinärmediziner und Landwirte, die sich zur "Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen" (GEH) zusammenschlossen.
Sie suchen seitdem nach alten Beständen, versuchen die Populationen zu vergrößern und mit Gentests die Abstammungslinien zu erforschen, um Inzestschäden zu vermeiden. Und sie machen die alten Rassen wieder populär.
Das Fleisch von Heidschnucken, Bentheimer Schweinen und Hinterwälder Rindern gilt als Delikatesse. Auf Leistungsschauen wie der Berliner Grünen Woche schneidet das Schwäbisch-Hällische Schwein als das Schwein mit dem besten Muskelfleisch ab.
Doch auch für die Landschaftspflege sind die alten Rassen wegen ihrer Robustheit wieder auf dem Vormarsch. Sie können länger draußen gehalten werden und sind weniger krankheitsanfällig. Zudem könnten die alten Genressourcen künftige Fleischskandale verhindern helfen.
Projekt Archehöfe
Um ihr Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen, hat die GEH das Projekt der Archehöfe initiiert. Die Landwirte der Archehöfe wirtschaften mit den alten Rassen bei artgerechter Tierhaltung.
Viel Auslauf, für Schweine ein Schlammloch zum Suhlen, für Gänse ein Teich – oft wirken die Archehöfe wie eine Idylle aus vergangener Zeit. Mindestens drei alte Rassen aus drei verschiedenen Tiergruppen müssen die Höfe halten, um die Auszeichnung als Archehof zu bekommen.
Zur Überlebensstrategie gehört die Selbstvermarktung der tierischen Produkte: Das Fleisch von Bentheimer Schweinen oder Heidschnucken gilt unter Feinschmeckern als Delikatesse, regionale Gastwirte bieten es in ihren Lokalen an.
Archehöfe verpflichten sich außerdem, der Öffentlichkeit die Situation der alten Nutztierrassen nahezubringen. Schulklassen und Familien sind willkommen. Manche Archehöfe haben sogar extra einen kleinen Streichelzoo eingerichtet.
Eine alte Rasse auf den Archehöfen: das Pommernschaf
Quelle: SWR | Stand: 06.07.2020, 08:29 Uhr