Geschichte der Gastarbeiter
Italiener in Deutschland
"Kein Zutritt für Italiener" stand in den 1960er-Jahren an mancher Gastwirtschaft. Tagsüber schufteten die Gastarbeiter in den Fabriken, doch beim abendlichen Ausgehen waren die Männer keine gern gesehenen Gäste. Erst nach und nach bröckelten die Vorurteile.
Von Malte Linde
Gemeinsame Arbeit, getrennte Freizeit
Vor allem den deutschen Männern waren italienische Männer unheimlich – weniger hingegen den deutschen Frauen jener Jahre. Die waren oft eher neugierig auf das südliche Temperament, das ihnen aufregend fern, gar exotisch schien – angesichts der gewohnten deutschen Zurückhaltung.
Die Vergnügungen von Hunderttausenden, die aus Sizilien, Kalabrien oder Neapel in den Norden Europas kamen, sollte nach dem Wunsch zahlreicher Deutscher am besten unauffällig und ohne Lärm vonstatten gehen. Manche Firmen richteten für ihre italienischen Arbeiter deswegen eigene Tanzsäle ein, in denen die Männer dann unter sich den freien Abend genießen konnten.
Wie Gäste wurden Gastarbeiter nur selten behandelt. Wer sich in den 1950er- und 1960er-Jahren aus den ärmlichen Dörfern des Südens aufmachte, um in Deutschland zu arbeiten, erfuhr bereits im eigenen Land, worauf es ankam: Die Ärzte in den Anwerbestellen untersuchten jeden einzelnen Antragsteller gründlich auf mögliche Schwachstellen.
Nur wer wirklich gesund war und diesen Check überstand, durfte gen Norden reisen und zur Mehrung des deutschen Wohlstands beitragen.
Nähe durch Nudeln
Für die meisten Neuankömmlinge aus Italien war das Leben in Deutschland zunächst ein Schock: Das Wetter war oft scheußlicher, als es sich manch ein Sizilianer in seinen Alpträumen ausgemalt hatte.
Und an Essen war praktisch gar nicht zu denken. Die Nudel hatte ihren Weg noch nicht über die Alpen gefunden. Die deutschen Tomaten waren ohne Sonne aufgewachsen, wässrige Gurken konnten beim besten Willen keine Zucchini ersetzen. Und den Kaffee wollten viele Einwanderer nicht einmal probieren.
Pasta gegen das Heimweh
Es dauerte geraume Zeit, bis der Markt die kulturelle Kluft der Lebensmittelversorgung überbrückt hatte und italienische Spezialitäten auch in Köln, München oder Bottrop erhältlich waren. Was eigentlich zur Selbstversorgung der in Deutschland gestrandeten Gastarbeiter gedacht war, geriet zur kulinarischen Integrationsbewegung, einer friedlichen und äußerst schmackhaften Küchen-Invasion.
Stück für Stück entdeckten auch die Deutschen die Kostbarkeiten der italienischen Küche. Dann setzten sich Spaghetti und Olivenöl, Balsamico und Grappa, Mozzarella und Basilikum innerhalb weniger Jahre auch im Land der Kartoffel durch.
Unterstützt wurde dieser Integrationsprozess durch zahlreiche Pizzerien und Eisdielen, von denen die ersten schon in den 1950ern öffneten.
Nachdem die erste Schwellenangst überbrückt war, wurden selbst schwierige Worte wie "Stracciatella" und "Margherita" zu einem festen Bestandteil deutscher Bestellsprache. Auch wenn der Espresso noch Jahrzehnte nach seiner Einführung als "Expresso" nur sprachlich stolpernd eingenommen werden konnte, tat das dem Siegeszug der italienischen Esskultur keinen Abbruch.
Eiskalter Genuss in vielen Geschmackssorten
Vom Paten zum Papst
Durch das gute Essen und massenhaft Urlaube an den Stränden von Adria und Riviera wurde das einst Fremde allmählich vertrauter. So fanden auch andere Spezialitäten ihren Platz auf deutschen Wunschzetteln: Das lärmende Geknatter von Zweitaktern mit selbsttragender Karosserie hatte sich so sehr mit dem Flair italienischer Urlaubsstädte verbunden, dass ein Vespa-Roller nun auch hierzulande als taugliches Gefährt erschien.
Eine Vespa sorgte für mediterranes Fahrgefühl
Als manchmal teurer und nicht selten begehrter als ein Moped erwiesen sich auch die Kreationen der italienischen Modemacher: Versace, Armani, Gucci oder Prada lieferten den Beweis, dass ein Stück Stoff oder Leder Grund genug sein kann, den eigenen Kontostand in tiefe Abgründe zu stoßen.
Das Italienbild der Deutschen wurde aber auch durch Filme geprägt – und zwar nicht nur durch Mafia-Dramen wie Francis Ford Coppolas "Der Pate".
Federico Fellinis Film "La Dolce Vita" verhalf 1959 seinen Hauptdarstellern Marcello Mastroianni und Anita Ekberg zu einem großen Erfolg. Auch der Titel des Films selbst machte Karriere – als geflügeltes Wort für die deutsche Sehnsucht nach dem Süden.
Auch die Italiener schufen in ihren Herzen Platz für Deutsches: Schon die ersten Einwanderer hatten ihre Freude an einem Gesundheitswesen, das in der Regel funktionierte, sowie an einer zwar unfreundlichen, aber immerhin berechenbaren Bürokratie.
Inzwischen hat sich auch manch deutscher "Gastarbeiter" südlich der Alpen etabliert. Sei es als Fußballer, als Lieblingsrennfahrer oder als Papst wie Benedikt XVI..
(Erstveröffentlichung 2005. Letzte Aktualisierung 18.05.2020)
Quelle: WDR