Die Geschichte des Kolonialismus Planet Wissen 02:18 Min. Verfügbar bis 18.09.2029 WDR Von ZDF/Pur+/gomie production GmbH/Nadja Stein/Richard Bade/Maximilian Mohr; https://terraxplaincommons.zdf.de

Neuzeit

Kolonialismus – Europas Kolonien

Ab dem 15. Jahrhundert besetzten europäische Großmächte Gebiete auf anderen Kontinenten. Zunächst waren es die Portugiesen und Spanier, dann zogen andere Staaten nach. Der Handel mit Gewürzen und Rohstoffen versprach Reichtum und Macht. Dabei wurden Millionen von Menschen vertrieben, vergewaltigt, versklavt oder getötet.

Von Tobias Aufmkolk

Portugal erobert Ceuta

Ab dem frühen 15. Jahrhundert zog es die Portugiesen aufs Meer. Die geografische Lage am Rande Europas, direkt am Atlantik, war ein großer Vorteil für die künftige Seefahrernation. 1415 eroberte ein Heer von Kreuzrittern unter portugiesischem Oberbefehl die nordafrikanische Stadt Ceuta.

Dabei trat zum ersten Mal eine der schillerndsten portugiesischen Persönlichkeiten in Erscheinung: Infante Dom Henrique o Navegador, auch Heinrich der Seefahrer genannt. In den folgenden Jahrzehnten wurde er zum bedeutendsten Auftraggeber portugiesischer Seefahrten im Atlantik. 1419 wurde Madeira in Besitz genommen, 1427 die Azoren. Portugiesische Schiffe drangen entlang der afrikanischen Küste weit nach Süden vor und errichteten dabei zahlreiche Stützpunkte an Land.

Zunächst dienten die Stützpunkte dem Raub von Menschen, die dann als Sklaven nach Portugal verschleppt wurden. Später kamen auch Handelsbeziehungen dazu: Mit afrikanischen Völkern wie den Wolof in Mauretanien tauschte man Gold, Elfenbein und Sklaven gegen Pferde.

Die portugiesischen Machenschaften in Afrika blieben dem Nachbarn Spanien nicht verborgen. Es kam zu ersten Kämpfen um die Kanarischen Inseln. 1455 sprach Papst Nikolaus V. den Portugiesen das ausschließliche Recht zu, den Golf von Guinea und alle südlich davon gelegenen Gebiete zu befahren und zu besetzen. Die Spanier erhielten im Gegenzug die Kanarischen Inseln.

Der Vertrag von Tordesillas

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde Spanien zunehmend mächtiger. Durch ihre Heirat vereinigten Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón 1469 ihre Königreiche. 1492 betrat Christoph Kolumbus im Auftrag der Spanier amerikanischen Boden. Spanien wollte die neuen Gebiete für sich erobern, doch dem standen portugiesische Ansprüche auf die Hoheit im Atlantik entgegen.

Damit es nicht wieder zu einem bewaffneten Konflikt kam, teilten die beiden Großmächte im "Vertrag von Tordesillas" die Welt außerhalb von Europa unter sich auf. Etwa 1770 Kilometer westlich der Kapverdischen Inseln wurde eine künstliche Linie gezogen. Die Spanier bekamen den westlich davon gelegenen Teil zugesprochen, die Portugiesen den östlichen Teil.

Vertrag von Tordesillas wird geschlossen (am 07.06.1494) WDR ZeitZeichen 07.06.2014 14:38 Min. Verfügbar bis 04.06.2054 WDR 5

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Die Spanier gingen sofort ans Werk. Sie besetzten die Karibischen Inseln, Hernán Cortés unterwarf 1519 das Aztekenreich in Mexiko und Francisco Pizarro 1531 das Inkareich in Peru.

Getrieben wurden die Feldzüge von der Gier nach Macht und Reichtum. Erst später behaupteten die spanische Kirche und das spanische Königshaus, dass es den Eroberern vor allem um die christliche Missionierung der amerikanischen Völker gegangen sei – was auch als Rechtfertigung für die oft brutale Gewalt der Kolonialisten dienen sollte.

Die Portugiesen dehnten ihren Herrschaftsbereich in Afrika zunehmend aus. Zudem hatten sie großes Interesse daran, den lukrativen Gewürzhandel mit Asien in ihrer Hand zu halten. 1498 umrundete Vasco da Gama zum ersten Mal das Kap der Guten Hoffnung und erreichte Indien auf dem Seeweg. 1510 wurde Goa zur Hauptstadt des portugiesisch besetzten Gebietes in Indien gemacht. In den folgenden Jahrzehnten kontrollierten die Portugiesen den gesamten Handel im Indischen Ozean.

Hernán Cortés ließ alle aztekischen Kulturdenkmäler zerstören | Bildquelle: akg

Lizenzen für den Sklavenhandel

Für die neuen Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent wollte man billige Arbeitskräfte. Zunächst versklavten die Spanier viele Arbeiter aus der indigenen Bevölkerung und zwangen sie, auf den Plantagen und in den Minen zu arbeiten.

In den folgenden Jahren starben viele Einheimische aufgrund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen, bei Bergwerksunglücken und vor allem an Krankheiten wie Pocken, Masern oder Typhus, die von den Europäern eingeschleppt wurden.

So verfielen die Kolonialisten auf die Idee, Sklaven aus Afrika nach Amerika bringen. Doch der Vertrag von Tordesillas verbot den Spaniern Geschäfte auf dem afrikanischen Kontinent. Deshalb vergab der spanische König Karl V. im Jahr 1517 die erste offizielle Lizenz zum Sklavenhandel an Händler aus Flandern (das heute zu Belgien und Frankreich gehört). Sie durften ab sofort jedes Jahr 4000 Sklaven nach Amerika verkaufen. Damit war der Grundstein für die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents gelegt.

Mit dem Sklavenhandel ließ sich viel Geld verdienen. Immer mehr Europäer erhielten in der Folgezeit offizielle Lizenzen dafür, die sogenannten "Asientos de Negros". Zunächst handelten die Genuesen und Portugiesen mit Sklaven, später dann auch die Engländer und Franzosen.

Schätzungen zufolge wurden innerhalb von rund 300 Jahren mehr als zehn Millionen Afrikaner nach Amerika deportiert.

1807 verbot Großbritannien als erste europäische Nation den Sklavenhandel. Im Wiener Kongress 1815 wurde die Sklaverei dann offiziell geächtet, der transatlantische Sklavenhandel verlor danach schnell an Bedeutung.

Sklavenhandel an der Westküste Afrikas | Bildquelle: akg

Die "British East India Company" und "Vereenigde Oostindische Compagnie"

Im frühen 17. Jahrhundert nahm auch die Seemacht Großbritannien koloniale Pläne auf. In Nordamerika besiedelten britische Auswanderer ganze Landstriche und verdrängten nach und nach die indianische Bevölkerung. Im asiatischen Raum setzten die Briten dagegen vor allem auf wirtschaftliche Beziehungen. Hierfür wurde in London im Jahr 1600 die "British East India Company" gegründet. Sie erhielt das königliche Privileg, den Handel mit Gewürzen, Seide und Baumwolle zu kontrollieren.

Anfangs war sie noch ein reines Handelsunternehmen, das mit ähnlichen Unternehmen aus anderen Ländern konkurrierte. Doch im Laufe des 18. Jahrhunderts strebte die Company besonders in Indien nach mehr politischer Macht und eroberte zahlreiche Regionen. Im 19. Jahrhundert kontrollierte sie dann den gesamten Subkontinent Indien mit den umliegenden Gebieten des heutigen Pakistan, Afghanistan, Birma und Malaysia.

Nur zwei Jahre nach der Gründung der britischen Handelsgesellschaft starteten 1602 auch die Niederländer ihre Expansionen in Asien. Während die Briten sich auf Indien konzentrierten, brachte die "Vereenigde Oostindische Compagnie" (VOC) nach und nach ganz Indonesien unter ihre wirtschaftliche Kontrolle.

Im Gegensatz zu den Briten eroberten die Niederländer keine Gebiete, sondern gründeten Handelsniederlassungen wie die Stadt Batavia auf Java. Sie ließen die lokalen Herrschaftsstrukturen größtenteils bestehen, diktierten aber, mit welchen Produkten zur Befriedigung der Bedürfnisse in Europa gehandelt wurde. Pfeffer, Tee, Kaffee und Textilien gehörten zu den bevorzugten Gütern.

Um ihre Unternehmungen zu finanzieren, erfand die VOC das Prinzip der Aktie. Reiche Niederländer konnten sich an der Gesellschaft beteiligen und erhielten bei Gewinnen der VOC Dividendenausschüttungen.

Die erste Aktie der Welt – ein Nebenprodukt der Kolonialisierung | Bildquelle: Euronext N. V.

Die Gründung von Québec

Im 16. Jahrhundert begannen auch die Franzosen, Gebiete in Übersee zu erobern und zu kolonisieren. Sie konzentrierten sich zunächst auf Nordamerika. Der Seefahrer Jacques Cartier drang bei seinen Fahrten ab 1534 weit in den St.-Lorenz-Golf vor und nahm die umliegenden Küstengebiete für Frankreich in Besitz. Mit der Gründung der Stadt Québec im Jahr 1608 begannen französische Siedler, auch das Hinterland zu besetzen.

In den folgenden Jahrzehnten dehnten sie ihren Einflussbereich weiter aus, stießen aber bald auf heftigen Widerstand der Briten, die ebenfalls die nordamerikanischen Gebiete für sich beanspruchten. Es kam immer wieder zu Kämpfen, die schließlich im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) zwischen den beiden europäischen Großmächten gipfelten.

Frankreich verlor diesen Krieg und musste im Frieden von Paris 1763 alle Kolonien an die Briten abtreten. Die kolonialen Bestrebungen der Franzosen waren damit vorerst beendet.

Die Stadt Québec wurde 1608 gegründet | Bildquelle: AKG

Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg

Im 18. Jahrhundert schien die Herrschaft der Briten in Nordamerika gefestigt. Die Konkurrenten Frankreich und Niederlande waren ausgeschaltet, der Handel mit den 13 britischen Kolonien in Amerika blühte.

Doch in den 1770er-Jahren formierte sich erster Widerstand. Der nach Nordamerika eingeführte Tee wurde mit so hohen Steuern belegt, dass die Kolonien sie kaum bezahlen konnten. Der Widerstand gipfelte 1773 in der "Boston Tea Party". Dabei versenkten amerikanische Siedler ein mit Tee beladenes britisches Schiff der "East India Company" im Bostoner Hafen – und verlangten mehr Selbstbestimmungsrecht für die Kolonien in Amerika.

Die britische Regierung reagierte allerdings genau entgegengesetzt. Sie ließ den Hafen von Boston schließen und verabschiedete Gesetze, die die Kolonien stark einschränkten. Doch diese ließen sich das nicht bieten. 1775 erklärten sie dem Mutterland den Krieg und riefen am 4. Juli 1776 ihre Unabhängigkeit aus.

Auch wenn der Krieg mit den Briten noch sieben Jahre andauerte, gingen die Kolonien überraschend als Sieger daraus hervor. 1783 wurde George Washington zum ersten Präsident der neu gegründeten "Vereinigten Staaten von Amerika" gewählt. Mit der Niederlage im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg musste Großbritannien seine ersten Kolonien aufgeben.

Die "Boston Tea Party" | Bildquelle: akg

Die Besetzung Ägyptens durch Napoleon

Um 1800 trat zum ersten Mal Napoleon Bonaparte in Erscheinung – ein kleiner Korse, der Europa nachhaltig veränderte. Als junger General der französischen Armee marschierte er 1798 in Ägypten ein, um von dort aus die Briten am Mittelmeer herausfordern zu können. Frankreich wollte den Neuaufbau eines kolonialen Systems.

So versuchte Napoleon, zusammen mit den Russen Indien unter seine Kontrolle zu bringen. Zudem schickte er Trupps nach Persien, Syrien und Algerien, um eine mögliche Besetzung der Länder auszukundschaften. Die Pläne scheiterten allesamt.

Nach dem Sturz Napoleons erhielten die Franzosen im "Frieden von Paris" 1814 ihre früheren Kolonien zurück. Doch dieser kleine, über alle Ozeane verteilte Besitz erschien Frankreich zu wenig. Mit der Besetzung Algiers im Jahr 1830 begann die französische Herrschaft über Nordafrika. In den folgenden Jahrzehnten eroberten französische Truppen fast die gesamte Sahara. Erst 1898 trafen sie an der Grenze zu Ägypten auf die britische Armee, vermieden aber einen erneuten Krieg.

Frankreich baute auch seinen Einfluss in Asien aus. 1859 fiel Saigon an die Franzosen, es folgten Indochina und Teile Ozeaniens. Um 1930 beherrschten die Franzosen mehr als zwölf Millionen Quadratkilometer Fläche, davon mehr als 90 Prozent in Afrika.  Frankreich besaß nun nach den Briten das zweitgrößte Kolonialreich der Welt, es war etwa 22 mal so groß wie Frankreich selbst.

Napoleon eroberte Ägypten im Handstreich | Bildquelle: AKG

Die südamerikanischen Unabhängigkeitskriege

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zog eine Welle der Unzufriedenheit durch die spanisch besetzten Gebiete in Südamerika. Die meisten Regionen verlangten mehr Unabhängigkeit von der Regierung in Madrid. Das spanische Kolonialreich in Südamerika war zu diesem Zeitpunkt in drei sogenannte Vizekönigreiche unterteilt, die der spanischen Krone unterstellt waren: Neugranada, Peru und Río de la Plata. 1809 erklärte die Region Ecuador ihre Unabhängigkeit, wenig später folgten Bolivien und Argentinien.

Die spanische Armee war zu diesem Zeitpunkt in Europa stark beschäftigt, da sie auf der Seite Napoleons gegen die Engländer kämpfte und dabei einen Großteil ihrer Seemacht verlor. Dennoch wollte Spanien seine Kolonien nicht so einfach aufgeben. In fast allen Regionen Südamerikas kam es zu jahrelangen Kriegen.

Schließlich musste der spanische König Ferdinand VII. klein beigeben. Es bildeten sich neue Staaten: Argentinien, Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Paraguay, Uruguay und Venezuela. Die spanische Kolonialherrschaft auf dem südamerikanischen Festland war beendet.

1816 sagte sich Argentinien von Spanien los | Bildquelle: Interfoto

In der Karibik konnten sich die Spanier dagegen noch länger halten. Erst 1898 kam es zum Krieg mit den USA, die ihr Einflussgebiet in Mittelamerika und Asien ausdehnen wollten. Sie griffen zunächst die spanisch besetzten Philippinen an, weiteten den Krieg aber kurze Zeit später auf Kuba und Puerto Rico aus.

Die Spanier hatten den Angriffen nur wenig entgegenzusetzen und mussten nach wenigen Monaten kapitulieren. Damit war das einst riesige spanische Kolonialreich auf wenige Gebiete an der westafrikanischen Küste geschrumpft.

Der Wettlauf um Afrika

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der europäische Einfluss in Afrika relativ gering und beschränkte sich auf wenige Regionen. Doch dann begann ein regelrechter Wettlauf um den riesigen Kontinent. Auf Expeditionen erkundeten Entdecker wie David Livingstone das Innere Afrikas und erfuhren dabei viel über die topografische und geologische Beschaffenheit des Kontinents.

Zur gleichen Zeit suchten die europäischen Mächte nach neuen Absatzmärkten und Rohstoffen für ihre Industrien. Neben den etablierten Kolonialmächten Portugal, Großbritannien und Frankreich traten jetzt auch neu formierte Staaten wie Belgien, Italien und Deutschland auf den Plan.

Die Eroberungen verliefen relativ planlos, Grenzen wurden willkürlich gezogen. Frankreich stieß von Nordafrika aus gen Süden vor, Großbritannien wollte von Ägypten bis Südafrika einen Korridor errichten. Italien eroberte Libyen und Somalia, während Belgien den Kongo in Zentralafrika besetzte. Die Deutschen besetzten unter anderem das heutige Namibia (Deutsch-Südwestafrika), Tansania, Burundi und Ruanda (Deutsch-Ostafrika) sowie Kamerun und Togo.

1884 lud Reichskanzler Otto von Bismarck alle Kolonialmächte zur "Kongokonferenz" ein, um die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten in geregelte Bahnen zu lenken. Die Folge: Die bestehenden Kolonien blieben unangetastet, jedes weitere Gebiet durfte der Staat sein Eigen nennen, der es zuerst in Besitz nahm. Der Wettlauf nahm in der Folgezeit dramatische Züge an. Bis 1914 hatten die Europäer den gesamten Kontinent bis auf Äthiopien besetzt.

Kongo-Konferenz: Bismarck verteilt den "Kuchen" Afrika | Bildquelle: akg-images

Deutschland als Kolonialmacht

Lange Zeit hatte sich Reichskanzler Otto von Bismarck geweigert, die deutsche Kolonialpolitik formell zu unterstützen. Er sah den jungen deutschen Nationalstaat noch nicht für koloniale Abenteuer gerüstet und befürchtete Konflikte mit den Briten.

Doch die deutschen Kolonialverbände wurden immer aggressiver und besetzten 1884 sogenannte "Schutzgebiete" in Afrika, darunter Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun. Auf eigene Faust konnten sie dort jedoch keine kolonialen Strukturen aufbauen. Im April 1884 änderte Bismarck seinen Kurs. Er stellte Deutsch-Südwestafrika unter den formellen Schutz des Deutschen Reiches. Damit trat Deutschland als eine der letzten europäischen Nationen in das koloniale Zeitalter ein.

Deutsche Kolonialgesellschaft gegründet (am 19.12.1887) WDR ZeitZeichen 19.12.2012 14:31 Min. Verfügbar bis 17.12.2052 WDR 5

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In den folgenden Jahren wurden weitere Gebiete besetzt, vor allem in Ostafrika und auf ein paar kleinen Inseln im Pazifik. Bei der Kolonisierung gingen die Deutschen äußerst brutal vor. Innerhalb kurzer Zeit wollten sie Strukturen aufbauen, für die andere Nationen Jahrzehnte oder Jahrhunderte Zeit gehabt hatten.

Dies führte in den Kolonien immer wieder zu Aufständen, die mit aller Gewalt niedergeschlagen wurden. In Deutsch-Südwestafrika etwa, dem heutigen Namibia, trieben deutsche Truppen die einheimischen Herero in die Wüste und ließen sie dort verdursten. Von 1904 bis 1908 starben mehr als 80.000 Herero als Folge der deutschen Gräueltaten. Mehr als 100 Jahre später erkannte Deutschland im Jahr 2021 dieses Verbrechen offiziell als Völkermord an.

Die deutsche Kolonialgeschichte war nur von kurzer Dauer. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg verlor das Deutsche Reich auch all seine Kolonien. Im Versailler Vertrag von 1919 teilten die siegreichen europäischen Staaten die von Deutschland besetzten Gebiete unter sich auf. Nach nur 35 Jahren war Deutschlands Zeit als Kolonialmacht beendet.

Die deutsche Kolonialzeit Planet Wissen 08.05.2023 02:38 Min. Verfügbar bis 23.06.2027 WDR Von Hildegard Kriwet

Der Beginn vom Ende des britischen Empires

Der Erste Weltkrieg kostete viel Geld. Vor allem die Briten bekamen dies zu spüren: Die Aufrechterhaltung ihres riesigen Weltreichs verschlang Unsummen. Zudem mussten die Briten in Europa auch noch gegen die Iren kämpfen, die ihre Unabhängigkeit durchsetzen wollten.

Diesen Herausforderungen war das Empire nicht mehr gewachsen. 1922 erlangte Ägypten als erste afrikanische Kolonie nach schweren Unruhen die formelle Unabhängigkeit von Großbritannien. Das britische Weltreich begann zu bröckeln.

Zur gleichen Zeit verlangten die britischen Dominions – also die vier sich selbst verwaltenden Kolonien Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika – mehr Unabhängigkeit vom Mutterland. Dies führte 1926 zur Gründung des "British Commonwealth of Nations", in dem die Dominions zu eigenständigen Gemeinschaften innerhalb des britischen Empires erklärt wurden. Somit waren vier weitere Kolonien von Großbritannien faktisch unabhängig.

Im Zweiten Weltkrieg wurde es für die Briten noch schwieriger, ihre Kolonien zu halten. Die Japaner griffen British Malaya, Hongkong und Singapur an. Großbritannien konnte seine Kolonien nicht mehr aus eigener Kraft verteidigen. Nur durch den Kriegseintritt der USA 1941 und durch die Unterstützung der Dominions Neuseeland und Australien konnten die Kolonien im Pazifikraum gehalten werden. Obwohl die Briten aus dem Zweiten Weltkrieg als Sieger hervorgingen, war ihr Status als führende Kolonialmacht geschwächt.

In zahlreichen Kolonien gab es Unruhen, wie hier in Indien 1933 | Bildquelle: WDR/picture alliance/ullstein bild - Harald Lechenper

Die Unabhängigkeit Indiens

Indien war das Herzstück des britischen Kolonialbesitzes, und daher wollten die Briten es nicht so leicht aufgeben. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem viele Inder im Dienst der britischen Armee gestorben waren, wurden die Rufe nach Unabhängigkeit jedoch lauter. Ein Mann namens Mahatma Gandhi wurde dabei zum Sprachrohr der indischen Bevölkerung.

Der charismatische Gandhi befürwortete einen absolut gewaltlosen Widerstand. 1920 rief er zur Kampagne der Nichtkooperation auf: 300 Millionen Inder sollten fortan nicht mehr mit den 100.000 Briten im Land zusammenarbeiten. Doch seine Kampagne hatte zunächst keinen Erfolg. Die anfangs gewaltfreien Proteste seiner Anhänger schlugen immer mehr in Gewalt um und das Land drohte im Chaos zu versinken. Gandhi trat 1922 in einen Hungerstreik, den er erst beendete, nachdem Millionen seiner Anhänger die gewaltsamen Auseinandersetzungen aufgaben.

1930 weitete Gandhi die Kampagne der Nichtkooperation zur Kampagne des zivilen Ungehorsams aus. Er forderte die gewaltlose Übertretung britischer Gesetze, zum Beispiel durch die Verweigerung der Salzsteuer, die die Briten auf jede Prise Salz erhoben. Die Kampagne gipfelte in dem legendären Salzmarsch, auf dem Gandhi und seine Anhänger gegen das britische Salzmonopol demonstrierten.

Mahatma Gandhi wurde zur Symbolfigur des unbewaffneten Widerstands gegen die Briten | Bildquelle: akg-images / GandhiServe India

Gandhis Geduld zahlte sich viele Jahre später aus: Im Zweiten Weltkrieg hatten mehr als zwei Millionen Inder für Großbritannien gekämpft, 1941 hatte Deutschland den Luftkrieg gegen Großbritannien aufgrund hoher Verluste beendet. Da England nun nicht mehr direkt von den Deutschen bedroht war, forderte Gandhi 1942 eine Gegenleistung für die indische Unterstützung und erklärte die Unabhängigkeit Indiens. Kurz darauf wurde er verhaftet, zwei Jahre später aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit aber wieder freigelassen.

Die Inhaftierung brachte Gandhi große Sympathien bei der Bevölkerung ein. Direkt nach dem Krieg erstritten Gandhi und Jawarhalal Nehru, der später erster Präsident Indiens wurde, am Verhandlungstisch die Unabhängigkeit. 1947 wurde sie vom britischen Premierminister Clement Attlee formell bekannt gegeben.

Die Unabhängigkeit für die meisten Länder Afrikas

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die europäischen Siegermächte, allen voran Frankreich und Großbritannien, noch stark mit den Folgen des Krieges zu kämpfen. Der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur war sehr kostspielig, zudem fehlte es an Soldaten, da viele von ihnen während des Zweiten Weltkriegs gefallen waren.

1945 und 1947 kam es zu Unruhen in den französischen Kolonien Algerien und Madagaskar, die gewaltsam niedergeschlagen werden.

Der Beginn des Algerienkrieges 1954, bei dem viele Soldaten starben, und der verlorene Krieg in Indochina (1946-1954) läuteten eine Wende in der französischen Kolonialpolitik ein. Nach und nach zog Frankreich seine Truppen aus den afrikanischen Kolonien ab. Tunesien und Marokko wurden 1956 als erste unabhängig, 1960 folgten auf einen Schlag zahlreiche Kolonien in West- und Zentralafrika.

Großbritannien zog sich im Gegensatz zu Frankreich weitgehend kampflos aus seinen Kolonien zurück. Die britische Regierung wollte ihre Kolonien nach und nach an gemäßigte demokratische Regierungen übergeben. 1957 wurde Ghana als erstes zentralafrikanisches Land unabhängig.

Ghana wird unabhängig (am 06.03.1957) WDR ZeitZeichen 06.03.2017 14:41 Min. Verfügbar bis 04.03.2097 WDR 5

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Mit dem Rückzug der Briten entstanden in vielen Kolonien regionale Konflikte. Diese wurden von den ehemaligen Unterdrückern aber weitgehend ignoriert, als die Kolonien in den 1960er-Jahren ihre Unabhängigkeit zurückbekamen – ungeachtet der willkürlich gezogenen Grenzen und schwelenden Konflikte.

Nur Namibia blieb unter südafrikanischer Verwaltung und erlangte erst 1990 seine Unabhängigkeit. Denn das ehemalige "Deutsch-Südwestafrika" war bereits 1915 von südafrikanischen Truppen erobert und nach dem Ersten Weltkrieg von Südafrika verwaltet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg weigerte sich Südafrika, dem Land seine Unabhängigkeit zurückzugeben, was zu erheblichen Spannungen mit der UNO führte.

Die anderen europäischen Staaten verfolgten sehr unterschiedliche Pläne in Afrika. Während sich das nach dem Krieg gebeutelte Italien bereits 1951 aus Libyen zurückzog, hielt Belgien den Kongo noch bis 1960 besetzt. Portugal gab seine Kolonien erst 1974 mit dem Ende der faschistischen Diktatur frei.

Das Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft

Im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern hielt Portugal sehr lange an seinen Kolonien fest. Während in England, Frankreich und den Niederlanden viele Stimmen ein Ende der Kolonialpolitik forderten, entstand Anfang der 1930er-Jahre in Portugal unter Ministerpräsident António de Oliveira Salazar eine faschistische Diktatur die das einst so mächtige portugiesische Imperium wiederbeleben wollte.

Im Zweiten Weltkrieg kam das neutrale Portugal durch Handel mit Produkten aus seinen Kolonien zu beträchtlichem Wohlstand. Doch nach dem Krieg begann auch das portugiesische Kolonialreich zu bröckeln.

1961 besetzte Indien Goa, Damão und Diu. In Afrika kam es Anfang der 1960er-Jahre in Guinea, Mosambik und Angola zu bewaffneten Aufständen der einheimischen Bevölkerung. Obwohl Portugal unter diesem Druck schrittweise die Lebensbedingungen in den afrikanischen Kolonien verbesserte, konnte es die Entwicklung nicht mehr aufhalten.

In den 1960er-Jahren formierte sich Widerstand in den portugiesischen Kolonien | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Am 25. April 1974 wendete sich die portugiesische Armee gegen die faschistische Diktatur im Heimatland. Die Bevölkerung war begeistert. In einer volksfestartigen Stimmung steckten Menschen auf den Straßen den Soldaten Nelken in die Gewehrläufe. Der friedlich verlaufende Aufstand ging als "Nelkenrevolution" in die Geschichte ein. Die faschistische Regierung war aufgrund der überbordenden Stimmung im Land überfordert und kapitulierte.

Ein Jahr später zog die neu gewählte demokratische Regierung als letzter europäischer Staat seine Truppen aus den Kolonien ab. Die mehr als 500 Jahre dauernde portugiesische Kolonialgeschichte war beendet.

Das Ende der Apartheid in Südafrika

Am 9. Mai 1994 wurde für viele Südafrikaner ein Traum wahr: Nelson Mandela wurde in freien Wahlen als erster Schwarzer zum Präsidenten des Landes gewählt.

Obwohl das 20. Jahrhundert schon weit fortgeschritten war, war ein frei gewählter Präsident im Land am Kap etwas Besonderes. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten das Land die Buren beherrscht, die ursprünglich aus den Niederlanden stammende weiße Bevölkerung. Sie hatten sich jahrzehntelang vehement allen Versuchen widersetzt, der schwarzen Bevölkerung mehr Rechte zuzugestehen.

Bereits 1926 war Südafrika unabhängig von Großbritannien geworden, als eine der vier sich selbst verwaltenden Kolonien ("Dominions"). Die Regierung des neuen Staates wurde zu einem großen Teil von der nationalistischen und rassistischen Nationalen Partei der Buren bestimmt.

Schon zu Beginn der Unabhängigkeit verschärften die Buren viele Gesetze zum Nachteil der Schwarzen. Zug um Zug wurde der schwarzen Bevölkerung immer mehr Lebensraum genommen, das Wahlrecht entzogen und Aufstiegsmöglichkeiten verbaut. Die Lage verschlimmerte sich noch, als 1948 die rassistische "Nationale Partei" an die Macht kam. Sie verfolgte eine strikte Rassentrennung zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung – die sogenannte Apartheid.

Trotz internationaler Proteste und wirtschaftlicher Boykotte hielt sich die Nationale Partei mehr als 40 Jahre an der Macht. Erst der letzte weiße Präsident des Landes, Frederik Willem de Klerk, verfolgte ab 1990 eine liberalere Politik. Er entließ den lange inhaftierten Bürgerrechtler Nelson Mandela aus dem Gefängnis und war zu ersten Gesprächen mit der schwarzen Bevölkerung bereit. Das letzte koloniale System, das seine Bewohner bewusst ungleich behandelte, ging dem Ende entgegen.

Auch an Bushaltestellen wurde strikt zwischen Rassen getrennt | Bildquelle: dpa / Eric Miller

Die Rückgabe Hongkongs an China

Mit einem riesigen Feuerwerk, das die ganze Skyline der Millionenstadt überstrahlte, übergab Großbritannien im Juli 1997 die Kolonie Hongkong an China. 155 Jahre britische Herrschaft auf chinesischem Boden waren vorüber.

Hongkong war 1842 an die Briten gefallen, nachdem sie China im Opiumkrieg besiegt hatten. Im "Vertrag von Nanking" musste der chinesische Kaiser Hongkong "auf immer und ewig" an die Briten abtreten. 1898 pachteten die Briten noch für 99 Jahre die umliegenden Gebiete und Inseln dazu, die sogenannten "New Territories". Und genau dieser Pachtvertrag brachte China im 20. Jahrhundert einen entscheidenden Vorteil.

In den 1980er-Jahren nahmen die beiden Länder Verhandlungen auf, da Großbritannien die Pacht gerne verlängern wollte. Doch China lehnte dies strikt ab. Da Hongkong ohne seine umliegenden Gebiete alleine nicht lebensfähig wäre, gab die britische Premierministerin Margaret Thatcher schließlich nach. Hongkong wurde als letzte verbliebene Kolonie des britischen Empires mit Ablauf des Pachtvertrages an China zurückgegeben.

1997 wird Hongkong wieder chinesisch | Bildquelle: WDR/dpa

(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 10.06.2022)

UNSERE QUELLEN

  • Robert Aldrich: "Ein Platz an der Sonne – Die Geschichte der Kolonialreiche". Theiss Verlag, Stuttgart 2008
  • Jürgen Osterhammel, Jan C. Jansen: "Kolonialismus – Geschichte, Formen, Folgen". C.H. Beck Verlag, München 2021
  • Andreas Eckert: "Kolonialismus", Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2015
  • Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): "Aus Politik und Zeitgeschehen: Kolonialismus", Verlag Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2012