Polen

Die Warschauer Aufstände 1943/44

Während des Zweiten Weltkriegs war Polen von den Deutschen besetzt. Beim Warschauer Aufstand und dem Aufstand im Warschauer Ghetto bewiesen die Polen ihren enormen Mut, ihren Kampfgeist und ihre Widerstandskraft.

Von Katrin Lankers

Der Aufstand im Ghetto 1943

Es ist der 19. April 1943. Heinrich Himmler, Reichsführer der SS (Schutzstaffel), hat sich das makabre Ziel gesetzt, Warschau für Adolf Hitlers Geburtstag am folgenden Tag "judenfrei" zu präsentieren.

Etwa 56.000 Menschen leben zu dieser Zeit noch im Warschauer Ghetto. Womit Himmler nicht gerechnet hat: Diese Menschen setzen sich zur Wehr. Erst nach fast einem Monat gelingt es der SS, den Aufstand brutal niederzuschlagen.

Seit November 1940 haben die Nationalsozialisten die Juden in einem abgeriegelten Ghetto im Stadtzentrum von Warschau zusammengepfercht. Knapp 450.000 Menschen müssen zeitweise auf dem nur vier Quadratkilometer großen Gebiet leben. Bis zu 6000 von ihnen sterben jeden Monat an Hunger und Krankheiten, auf den Straßen stapeln sich die Leichen.

Warschauer Ghetto wird abgeriegelt (am 16.11.1940) WDR ZeitZeichen 16.11.2015 14:39 Min. Verfügbar bis 13.11.2025 WDR 5

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Im Juli 1942 beginnen die Nazis mit der Räumung des Ghettos: Hunderttausende Juden werden in die Vernichtungslager transportiert. Fast täglich fahren ganze Viehwaggonzüge mit Männern, Frauen und Kindern von einer eigens angelegten Bahnstation ab. Wer im Ghetto zurückbleibt, hat den sicheren Tod vor Augen. Doch die Menschen wollen sich nicht kampflos in ihr Schicksal fügen.

So kommt es im Oktober 1942 zur Gründung der jüdischen Kampforganisation ZOB (Żydowska Organizacja Bojawa). Die Mitglieder beginnen, sich Waffen vom polnischen Untergrund zu organisieren.

Zwar bleibt die Ausbeute mager, doch die Kämpfer lassen sich davon nicht beirren. Als deutsche Soldaten am Abend des 18. April 1943 das Lager umstellen, sammeln sich die Aufständischen hinter den Barrikaden.

Um fünf Uhr in der Früh stürmen die Truppen das Ghetto. Knapp 800 Kämpfer stellen sich den gut 2000 Soldaten entgegen. Auch die Bewaffnung könnte ungleicher kaum sein: Mit einigen hundert Pistolen, Gewehren, Messern, Handgranaten und selbst gebauten Molotow-Cocktails gehen die jüdischen Kämpfer ins Gefecht gegen die Truppen, die durch Panzer, Artillerie und Luftwaffe unterstützt werden.

Viele Juden werden von SS-Soldaten festgenommen | Bildquelle: dpa

Wirkung weit über die Ruinen hinaus

Zunächst können die Aufständischen die Angriffe noch zurückschlagen. Mehrere Tage lang gelingt es den Deutschen nicht, das Ghetto zu betreten. Auf einem Haus hissen die Verteidiger den Davidstern und die polnische Nationalflagge.

Doch dann beginnen die Nazis damit, Haus um Haus in Brand zu stecken, um die Aufständischen aus ihren Verstecken zu treiben. Tausende Menschen stürzen brennend auf die Straßen, Fliehende werden sofort erschossen.

Am 8. Mai 1943 umzingeln die Truppen das Hauptquartier der ZOB in der Milastraße. Nur noch 120 Kämpfer sind übrig geblieben, doch sie halten dem Beschuss weitere zwei Stunden stand. Dann leiten die Deutschen Gas in das Gebäude. Keiner der Aufständischen will sich lebend ergeben, diejenigen, die nicht im Kampf getötet werden, begehen Selbstmord. Die wenigsten entkommen.

Insgesamt werden rund 7000 Juden während des Aufstands getötet oder danach im Ghetto erschossen. Die Übrigen werden ins Vernichtungslager Treblinka transportiert und ermordet.

Am 16. Mai 1943 sprengen die Deutschen die Warschauer Synagoge. SS-Brigadeführer Jürgen Stroop meldet: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr." Doch die Botschaft des Aufstands, so die Historikerin Leni Yahil, "ging weit über die Mauern des in Ruinen gelegten Ghettos hinaus".

Grausame Macht: Aufstand im Warschauer Ghetto niedergeschlagen WDR ZeitZeichen 16.05.2023 15:01 Min. Verfügbar bis 16.05.2099 WDR 5

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Der Warschauer Aufstand 1944

Der Warschauer Aufstand ist für die Polen bis heute Mythos und Trauma zugleich. Es war die größte bewaffnete Erhebung gegen die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs – und einer der blutigsten Kämpfe, den die Polen je geschlagen haben.

Gleichzeitig war es eine der größten Niederlagen: 63 Tage lang setzten sich die Aufständischen gegen die deutschen Truppen zur Wehr. Die traurige Bilanz: 180.000 tote Zivilisten, 15.000 tote polnische Soldaten und eine ganze Stadt in Trümmern.

Durch den deutschen Überfall wird die polnische Armee im September 1939 zerschlagen. Gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt wird das Land zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt. Zigtausend polnischen Soldaten und Offizieren sowie einer großen Zahl von Politikern gelingt die Flucht aus der besetzten Heimat nach Frankreich. Dort bildet sich eine Exilregierung, die nach der Niederlage Frankreichs nach London flüchtet.

In Polen formiert sich derweil der Widerstand. Ein Untergrundstaat entsteht, der ein geheimes Presse- und Sozialfürsorgewesen ebenso wie illegale Hochschulen organisiert. Ende 1943, Anfang 1944 gelingt es der Exilregierung, die verschiedenen bewaffneten Widerstandsverbände zu einer Gruppe zusammenzuschließen: der Heimatarmee "Armia Krajowa", kurz AK.

Gedanken an einen Aufstand treiben die militärische Führung der AK schon länger um. Im Juli 1944 scheint der Zeitpunkt dafür endlich gekommen. Die Alliierten sind in der Normandie gelandet. Im Führerhauptquartier verüben Widerständler einen Anschlag auf Adolf Hitler. Wehrmachtssoldaten fliehen durch Warschaus Straßen vor der nahenden Roten Armee. Die Heimatarmee bereitet sich auf einen Angriff vor.

Als die sowjetischen Truppen kurz vor der Stadt stehen, ist es so weit. Der Oberbefehlshaber der AK, General Tadeusz Bor-Komorowski, legt die "Stunde W" (Wyzwolenie bedeutet Befreiung) für den 1. August 1944, 17 Uhr fest.

20.000 Kämpfer der Heimatarmee erheben sich gegen die deutschen Besatzer. Sie sind schlecht bewaffnet und kämpfen gegen eine Überzahl gut ausgebildeter Soldaten mit modernem Kriegsgerät. Trotzdem gelingt es der AK, die Hälfte der Stadt westlich der Weichsel zu befreien.

Ein Kämpfer der polnischen Heimatarmee während der Straßenkämpfe 1944 | Bildquelle: dpa / Prasa

Dem Erdboden gleich gemacht

Als die Meldungen vom Aufstand das Führerhauptquartier erreichen, befiehlt Heinrich Himmler: Alle Polen in Warschau, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, sind zu erschießen. "Warschau ist dem Erdboden gleichzumachen, um Europa zu zeigen, was es bedeutet, einen Aufstand gegen die Deutschen zu unternehmen."

Und die Truppen folgen seinem Befehl. In den folgenden Wochen werden mehrere Zehntausend Zivilisten getötet, Häuserblocks gesprengt, ohne sie zu evakuieren, Menschen als lebende Schutzschilde missbraucht.

Die Rote Armee greift nicht ein, obwohl sie es könnte. Ein Sieg der nationalpolitischen AK, so vermutet man, lag nicht in Stalins Interesse, sondern hätte vielmehr seine Pläne gestört, nach dem Sieg über die Deutschen eine kommunistische Regierung in Polen zu errichten.

Nach herben Verlusten und Niederlagen tauchen die Aufständischen im September in die Kanalisation ab. Aus dem schwer zugänglichen Röhrensystem führen sie ihren Kampf weiter. In dunklen Gängen, die nur zwischen 70 Zentimeter und zwei Meter hoch sind, verschieben sie ihre Männer und versorgen ihre Verwundeten.

Die Deutschen fluten die Kanalisation, schütten giftige Chemikalien in die Öffnungen und werfen Granaten hinein. Am 2. Oktober kapituliert die Heimatarmee.

Fast 200.000 Opfer auf polnischer Seite gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits. Etwa 18.000 polnische Soldaten schicken die Deutschen in Gefangenschaft, rund 300.000 Warschauer werden vertrieben oder in Konzentrationslager abtransportiert. Zuletzt vollenden die Deutschen die Zerstörung der Stadt. Fast 90 Prozent der Gebäude liegen in Trümmern, als die Rote Armee im Januar 1945 in Warschau eintrifft.

Denkmal für die Kinder, die beim Aufstand gekämpft haben | Bildquelle: wdr

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 02.12.2020)