UNESCO-geschützte Küsten
So wie heute sieht die Nordsee erst seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren aus. Noch heute unterliegt die Küste einer dynamischen Entwicklung und mit dem möglichen Anstieg des Meeresspiegels könnte das für die Küstenbewohner in den kommenden Generationen zu enormen Veränderungen führen.
Sieben Anrainerstaaten grenzen an die Nordsee: Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland, im Norden Dänemark und Norwegen. Die westliche Grenze bildet Großbritannien von Südengland bis hoch zu den Shetland-Inseln, von wo aus die Nordsee ins Europäische Nordmeer mündet. Und im Süden ist die Nordsee zusammen mit dem angrenzenden Ärmelkanal die am dichtesten befahrene Schifffahrtsregion der Welt.
Dennoch ist die Nordsee bis heute eine besondere Naturregion. Vor Deutschland, den Niederlanden und Dänemark erstreckt sich eine einzigartige Landschaft: die größte zusammenhängende Wattenmeerfläche der Welt.
2009 erklärte die Unesco die Küstenlandschaft Deutschlands und der Niederlande zum Weltnaturerbe. Denn dieser Lebensraum zieht ganz besondere Tier- und Pflanzenarten an, die mit den extremen Unterschieden der Gezeiten zurechtkommen.
Zweimal am Tag fällt das Wattenmeer trocken. Dann vergraben sich die Krabben und Muscheln, die Wattwürmer stülpen ihre gefilterten Sandhäufchen an die Oberfläche und Abertausende von Zugvögeln finden hier so viel Nahrung, dass sie ihre lange Reise überstehen können.
Ganz anders die Küsten Norwegens und Großbritanniens. Die Felsabgründe sind Heimat für Felsbrüter wie die Trottellumme und Papageientaucher.
Besiedlungsgeschichte
Bis zur letzten Eiszeit waren große Wassermengen im Eis der Gletscher gebunden, so dass große Teile der heutigen Nordsee trocken lagen. So war unter anderem die heutige Doggerbank festes Land und die ersten Menschen an der Nordsee konnten trockenen Fußes bis nach Großbritannien gelangen.
Doch dann begann es wärmer zu werden: Das Wasser stieg und es gab mehr Niederschläge. In der kargen Steppe wuchsen die ersten Bäume, bis sie einen dichten Wald bildeten. Die Menschen veränderten ihre Lebensgrundlage, denn mit dem Wald wurde das Land von anderen Tieren bevölkert. Doch dann verschwand alles nach und nach unter den Fluten der Nordsee.
Noch heute finden Archäologen Spuren der ersten Besiedlung vor etwa 8.000 Jahren in den Tiefen: Speerspitzen aus dem roten Feuerstein Helgolands oder Überreste von Auerochsen, die rituell bestattet wurden.
Auch aus späteren Zeiten gibt das Meer Siedlungsspuren preis – etwa im Wattenmeer. Dort findet man noch heute Überreste aus den Tagen, wo die Menschen dachten, mit Deichen ungehemmt Land gewinnen zu können – bis Sturmfluten sie eines besseren belehrten und sie das Land wieder aufgeben mussten.
Versunkene Handelsschiffe dagegen sind nur selten zu finden. Zu oft sind die Wracks durch die starke Strömung versandet. Selbst Profitaucher können in der Nordsee keine Unterwasserarchäologie betreiben, denn die Sicht ist durch Schwebstoffe und aufgewirbelte Partikel extrem schlecht und die Strömung macht das Tauchen lebensgefährlich.
Die Erderwärmung verwandelt die Nordsee
Die Nordsee ist zu klein, um eine eigene Tiede (Flut und Ebbe) zu entwickeln und so werden ihre Gezeiten durch die Wellen aus dem Nord-Atlantik ausgelöst. Die Temperatur kann im Sommer 25 Grad Celsius erreichen und sinkt im Winter auf 10 Grad Celsius ab, wobei es an der flachen Wattenmeerküste auch zu Eis kommen kann.
Allerdings zeigt sich, dass die Wassertemperatur in den vergangenen Jahren um etwa 2 Grad Celsius gestiegen ist. Dadurch halten Meerestiere und Fische Einzug in die Nordsee, die eigentlich aus wärmeren Gewässern stammen, etwa Sardellen und Sardinenschwärme.
Andere dagegen wie den Kabeljau zieht es nach Norden – ihm wird es bei uns zu warm. Als Ursache für die Erwärmung werden die zunehmenden Westwindlagen angenommen, die im Zuge der Klimaerwärmung immer öfter zu beobachten sind.
Im Atlantik zwischen Islandtief und Azorenhoch entstehen diese Westwinde durch starke Druckunterschiede. Mit enormer Kraft drücken sie warme Wassermassen aus dem Ostatlantik durch den Ärmelkanal und an Schottland vorbei in die Nordsee. Zugleich verhindern sie den Zuzug von kalten Luftmassen aus dem Osten.
Der Helgoländer Hummer
Doch nicht nur die Erderwärmung, auch die Überfischung und die Wasserverschmutzung der vergangenen Jahrzehnte haben die Tierwelt nach und nach verändert.
Ein prominentes Beispiel ist der Hummer vor Helgoland. Anfang des 20. Jahrhunderts zogen die Fischer jährlich Tausende von Prachtexemplaren aus dem Wasser. Heute sind es nur noch wenige Hundert.
Was genau die Lebensbedingungen des Hummers so verschlechtert hat, ist Wissenschaftlern selbst nach vielen Jahren der Forschung nicht klar. Das Ökosystem muss sich insgesamt verschoben haben: Waren früher die großen Hummer die Könige unter Wasser und hielten Konkurrenten in Schach, sind es nun Krabben, die den kleinen Hummern das Überleben schwer machen.
Durch die Erwärmung beobachten die Forscher außerdem, dass die kleinen Hummer früher schlüpfen – eventuell zu einer Zeit, in der sie keine geeignete Nahrung finden.
Eine eigene Forschungsanstalt auf Helgoland versucht seit Jahren, den Bestand zu vergrößern. Obwohl die Fischer Eier tragende Hummerweibchen bei den Wissenschaftlern abgeben und diese dann die Tiere über ein Jahr lang groß ziehen, bevor sie wieder ausgesetzt werden, konnte der Bestand bislang nicht vergrößert werden.
Ob die Wasserqualität zu schlecht ist, der Bestand einfach zu geschwächt ist um sich adäquat durchzusetzen oder der Hormonhaushalt durch die Erwärmung durcheinander geraten ist? Offenbar kann der Mensch nicht alle Fehler der Vergangenheit rückgängig machen.
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 24.03.2020)