Leben in ständiger Angst vor Gottes Strafe
Der 31. Oktober ist der "Reformationstag" und in neun deutschen Bundesländern ein offizieller Feiertag. Er erinnert an den 31. Oktober 1517, als der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther der Überlieferung nach seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug.
Der Begriff Reformation kommt vom lateinischen Wort "reformatio" und bedeutet "Erneuerung" oder "Wiederherstellung". Da Martin Luther die römisch-katholische Kirche erneuern wollte, wird er auch "Reformator" genannt.
Zu dieser Zeit, gegen Ende des Mittelalters, lebten die Menschen in ständiger Angst vor Gott. Sie fürchteten, dass er sie für ihre Sünden bestrafen würde – zum Beispiel mit dem Fegefeuer. Dies ist nach dem katholischen Glauben eine Art Zwischenstation nach dem Tod, in der die Menschen von ihren Sünden gereinigt werden.
Die Kirche hatte eine Methode gefunden, wie sich mit der Angst der Gläubigen viel Geld verdienen ließ: den Ablasshandel. Wer einen sogenannten Ablassbrief kaufte, dem wurde versprochen, dass die Zeit im Fegefeuer verkürzt werde. Von dem Geld wurden Kirchen renoviert oder gebaut, zum Beispiel der berühmte Petersdom in Rom.
Während die Menschen in Armut lebten, führten der Papst und viele Geistliche ein Leben in Luxus. Schon seit Ende des 14. Jahrhunderts gab es Prediger, die öffentlich die Missstände in der Kirche kritisierten. Einer der ersten Reformatoren war der Prager Theologe Jan Hus. Er wurde 1415 beim Konstanzer Konzil wegen seiner Kritik auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Spaltung der christlichen Kirche
Einhundert Jahre später verurteilte Martin Luther in seinen berühmten 95 Thesen den Ablasshandel. Er vertrat die Ansicht, dass nicht Geld über das Seelenheil eines Menschen entscheide, sondern allein die Gnade Gottes.
Die Erfindung des Buchdrucks um 1450 hatte es möglich gemacht, Botschaften leicht und schnell zu verteilen. Martin Luthers Thesen verbreiteten sich auf Flugblättern wie ein Lauffeuer in ganz Europa. Die Schweizer Theologen Ulrich Zwingli und Johannes Calvin verfassten ähnliche Schriften. Sie ordneten an, dass alle Heiligenbilder und Heiligenfiguren aus den Kirchen entfernt werden mussten, da sie vom eigentlichen Glauben ablenkten.
Daher kam es zu den sogenannten "Bilderstürmen": Wie in einem Sturm fegten die Reformatoren über die Kirchenschätze hinweg. Bilder und andere Darstellungen von Jesus und den Heiligen wurden zerstört oder verkauft. Manche Werke wurden sogar auf dem Scheiterhaufen verbrannt, Statuen wurden die Gesichter zerkratzt oder die Köpfe abgeschlagen.
Da sich mehr und mehr Fürsten zu den Reformen von Martin Luther bekannten, bildeten sich zwei christliche Konfessionen: die traditionelle römisch-katholische und die neue evangelische. Damit zerfiel die religiöse Einheit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Viele Regionen in West-, Nord- und Mitteleuropa wurden evangelisch.
Die katholische Kirche versuchte, ihren Einflussbereich wieder zurückzugewinnen und die Reformation einzudämmen. In einigen Regionen wurden evangelische Kirchen geschlossen und ihre Prediger vertrieben. Die katholische Kirche ging aber auch auf einige Kritikpunkte Luthers ein. So schränkte sie zum Beispiel den Ablasshandel ein. Dieser Prozess wird "Gegenreformation" genannt.
Von manchen Menschen wurde die Reformation allerdings auch als Aufruf zur Rebellion gegen die Fürsten missverstanden. Im Bauernkrieg (1524-1526) beriefen sich die Bauern auf Martin Luthers Denkschrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von 1520. Darin hatte er geschrieben: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan". Gemeint hatte er aber die Freiheit im Jenseits nach dem Tod, nicht die Befreiung der Bauern von der Abhängigkeit zu ihren Grundherren (Leibeigenschaft). Daher verurteilte Martin Luther die Aufstände.
Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit
Ein wichtiger Schritt zur Anerkennung des evangelischen Glaubens war der "Augsburger Religionsfriede" von 1555. Darin wurde festgelegt, dass der jeweilige Landesherr bestimmen durfte, ob seine Untertanen evangelisch oder katholisch sein mussten.
Dieser Grundsatz wird oft mit den Worten zusammengefasst "Wessen Land, dessen Glaube" (auf Lateinisch: "cuius regio, eius religio"). Wer einen anderen Glauben als den seines Landesherren hatte, musste seine Konfession wechseln oder in ein anderes Fürstentum auswandern.
Anfang des 17. Jahrhunderts schlossen sich dann viele evangelische Herrscher und Städte zur "Union" zusammen, während die katholischen Regionen die "Katholische Liga" bildeten. Beide Lager bekämpften sich ab 1618 erbittert im Dreißigjährigen Krieg. Dieser verheerende Krieg, der sich über fast ganz Europa erstreckte, endete 1648 mit dem Westfälischen Frieden. Darin wurden alle christlichen Konfessionen schließlich vollkommen gleichgestellt. Bis heute sind die nordeuropäischen Länder überwiegend evangelisch, die südlichen meist katholisch geprägt.
Die Reformation war ein wichtiger Einschnitt im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Sie veränderte nicht nur die Kirche, sondern auch die Kunst und Musik, die Wirtschaft und Politik. Außerdem setzte sie einen Prozess in Gang, der die Selbstbestimmung des Menschen in den Vordergrund stellte. Diese Zeitströmung wird heute "Humanismus" genannt.
(Erstveröffentlichung 2024. Letzte Aktualisierung 08.08.2024)
UNSERE QUELLEN
- Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt: "Luther 2017"
- Bundeszentrale für politische Bildung: "Reformation: Luthers Thesen und die Folgen"
- Deutsches Historisches Museum: "Bildersturm und Reformation"
- Der Spiegel Geschichte: "Die Reformation. Aufstand gegen Kaiser und Papst". Spiegel-Verlag, Hamburg, Band 6/2015
- Martin H. Jung: "Die Reformation. Wittenberg – Zürich – Genf 1517-1555". Marixverlag, Wiesbaden 2016
- Volker Leppin: "Das Zeitalter der Reformation. Eine Welt im Übergang". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009
- Katharina Kunter: "500 Jahre Protestantismus. Eine Reise von den Anfängen bis in die Gegenwart". Palmedia Publishing Services GmbH, Lizenzausgabe für Gütersloher Verlagshaus, Berlin, 2011