Bau des ersten Staudamms
Mit dem Pegelstand des Nils veränderten sich über Jahrtausende die Ernteerträge. In manchen Jahren blieb die Flut aus und Dürrezeiten waren die Folge. Oder aber gewaltige Wassermengen überschwemmten die Felder.
Ägypten ist im Vergleich mit den übrigen Anrainerstaaten am stärksten vom Nil abhängig. Etwa 1000 Kilometer Wüste macht der Fluss an seinen Ufern zu fruchtbarem Ackerland. Seit Bauern in Ägypten Landwirtschaft betreiben, gibt der Fluss den Rhythmus für die Feldarbeit vor.
An seiner Wassermenge richteten sie ihren Kalender aus. Die Zeit von Juni bis September nannten die alten Ägypter "akhet". Der Nil überflutete die Felder mit seinem fruchtbaren Schlamm. Der zweite Kalenderabschnitt hieß "peret" und erstreckte sich über die Monate Oktober bis Januar. Mit seinem Beginn wurde das Saatgut in die Erde gebracht.
Die Zeit der Ernte, von Februar bis Mai, nannten die Ägypter "shemou". Wie hoch die Ernte ausfiel und ob überhaupt etwas geerntet werden konnte, war oft ungewiss: In manchen Jahren gab es sintflutartige Regenfälle, die den gesamten Anbau zerstörten. In anderen Jahren plagten die Bauern verheerende Dürrezeiten, in denen die Feldfrüchte in der sengenden Sonne vertrockneten.
Trotz eines ausgeklügelten Bewässerungssystems aus der Zeit der Pharaonen, mit Becken, Pumpen und Gräben, war eine jährliche Ernte nicht garantiert. Das bedeutete für die Menschen Lebensmittelknappheit. Die stetig wachsende Bevölkerung musste mit Nahrung versorgt werden, weshalb der Ertrag aus der Landwirtschaft nicht mehr den Launen des Nils überlassen werden konnte.
Mit der Besatzung durch die Briten im Jahr 1882 wurde auch der Export von Baumwolle immer wichtiger. In Assuan erbauten die Kolonialherren deshalb von 1898 bis 1902 die bis dahin größte Talsperre der Welt.
Allerdings stellte sich bald heraus, dass die zwei Kilometer lange Staumauer mit 30 Metern Höhe zu niedrig war, um die gewaltigen Wassermengen der saisonalen Flut zurückzuhalten. Außerdem reichte die knapp eine Million Kubikmeter Wasser, die das Staubecken fassen konnte, nicht aus, um das Land stromabwärts ausreichend mit Wasser zu versorgen.
Staatspräsident Nasser setzt Maßstäbe
Der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser setzte sich mit dem Hochstaudamm "Sadd el-Ali", zehn Kilometer südlich von Assuan, selbst ein Denkmal. Im Volksmund heißt das gigantische Projekt seitdem "Nassers Pyramide".
Bei der Einweihung 1964 erhob der russische Kremlchef Nikita Chruschtschow den größten Staudamm aller Zeiten zum achten Weltwunder. Ohne die mehr als 2000 russischen Ingenieure hätte er nicht gebaut werden können. Noch wichtiger aber war die finanzielle Unterstützung Russlands, da sich die USA, Großbritannien und Frankreich nach langen Verhandlungen als Geldgeber für das umgerechnet 2,2 Milliarden Euro teure Projekt zurückgezogen hatten.
Am 9. Januar 1960 gab Nasser die erste Bauphase frei. Bis zur Fertigstellung im Jahr 1971 waren mehr als 30.000 Arbeiter beschäftigt, die in einer eigens erbauten Stadt untergebracht waren. Von ihnen kamen etwa 400 ums Leben.
Ohne Zement besteht die Staumauer ausschließlich aus Steinen, Fels und Sand. Ein Lehmkern im Inneren sorgt dafür, dass der 980 Meter breite und 111 Meter hohe Damm mit einer Länge von knapp vier Kilometern nicht aufgeweicht wird. Dabei sind die Steinblöcke durch wasserdichte Fugen miteinander verbunden, die sich ausdehnen können. Das hohe Eigengewicht sorgt für einen besonders stabilen und sicheren Stand.
Den braucht es auch, denn der Wall staut den Nil zum 500 Kilometer langen Nassersee auf. Seine Fläche ist zehnmal so groß wie der Bodensee. Damit ist eine ganzjährige Bewässerung der Region möglich. Die zwölf Generatoren des Staudamms erzeugen insgesamt mehr als zwei Gigawatt Strom. Dadurch hat sich die Stromgewinnung für den westarabischen Raum nahezu verdoppelt.
Auch der Schifffahrt kommt der Damm zugute: Der Nil ist seitdem ganzjährig befahrbar – ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor in punkto Handel und Tourismus.
Der ursprüngliche Zweck, den schon die Engländer mit dem Bau einer Staumauer verfolgt hatten, ist durch den Assuan-Hochstaudamm erfüllt worden. Seit 1970 bringen die Bauern bis zu dreimal jährlich ihre Ernte ein, weil sie ihre Felder das ganze Jahr über bewässern können. In einer der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt, die mehr als 1000 Einwohner pro Quadratkilometer zählt, ist das ein starkes Argument für den Assuan-Hochstaudamm.
Auch die Folgen von Dürreperioden und Überflutungen hat der Damm seit seinem Bestehen stark abgemildert. Unzähligen Menschen ist dadurch vermutlich der Hungertod erspart geblieben. Aus ödem Wüstensand ist eine fruchtbare Anbaufläche von mehr als 400.000 Hektar entstanden. Das ist über elfmal so groß wie die gesamte Bundesrepublik Deutschland.
Ökologische und kulturelle Folgen
Ein solches Riesenprojekt bedeutet einen gewaltigen Eingriff in die Natur. Die ökologischen Probleme sind durchaus ernst zu nehmen, wenn auch weniger gravierend als ursprünglich angenommen.
Ein unbestrittener Aspekt ist aber die vermehrte Bodenversalzung als Ergebnis einer intensiven Bewässerung ohne geeignete Drainagen. Dabei verdunstet das Wasser an der Oberfläche und Salz bleibt zurück, was den angebauten Pflanzen schadet.
Kritiker hatten anfangs ebenfalls zu bedenken gegeben, dass sich das Staubecken durch Verschlammung zunehmend verkleinern würde. Seit jedoch oberhalb des Stausees, beispielsweise im Sudan, große Bewässerungsflächen angelegt wurden, sind die Ablagerungen merklich zurückgegangen. Schwerer wiegt allerdings die Tatsache, dass die ehemaligen Bewohner im Gebiet des heutigen Stausees ihre Heimat verlassen mussten.
Für mehr als 100.000 Nubier ließ Nasser 45 Kilometer nördlich von Assuan neue Dörfer errichten. Im alten Ägypten brachte das Geschlecht der Nubier zahlreiche Pharaonen hervor. Heute halten Experten das Umsiedlungsprojekt Nassers für gelungen. Mittlerweile hätten die Nubier eine bessere Bildung und einen höheren Lebensstandard als die Generation ihrer Großeltern. Außerdem sei es ihnen gelungen, weite Teile ihrer kulturellen Identität aufrechtzuerhalten.
Trotzdem ist ein großer Teil der alten nubischen Kulturstätten für immer verloren gegangen. So zum Beispiel die Festung von Buhen, die mit dem Bau des Staudamms unter der Wasseroberfläche verschwand. Andere wurden mühsam abgetragen und versetzt. Ein berühmtes Beispiel sind die Tempel von Abu Simbel. Mehr als vier Jahre dauert es, sie auf einer Insel im Nassersee exakt zu rekonstruieren.