Ein Schild warnt vor radioaktiver Strahlung.

Atomenergie

GAU und Super-GAU

Der "Größte anzunehmende Unfall" (GAU) ist der schlimmste denkbare Störfall beim Betrieb eines Atomkraftwerkes, für den die Sicherheitssysteme der Anlage ausgelegt sein müssen.

Von Silke Rehren und Mathias Tertilt

Der erste GAU 1979

Durch den Normalbetrieb eines Atomkraftwerkes ist die Belastung durch radioaktive Strahlungen eher gering, so dass zu Beginn der Atomenergienutzung Einrichtungen zum Abschalten der Reaktoren quasi die einzigen Sicherheitsvorkehrungen waren.

Nachbesserungen kamen mit einem US-Konzept, das als GAU den plötzlichen Bruch einer Hauptkühlmittelleitung festlegte. Die Notkühlung und die äußere Schutzhülle des Reaktorgebäudes – eine große Umhüllung aus Metall oder Beton – wurden damit zu gängigen Sicherheitssystemen.

1979 kam es im amerikanischen Atomkraftwerk "Three Mile Island" in Pennsylvania zum ersten Mal zum GAU. Die Brennstäbe konnten nicht mehr gekühlt werden und es setzte die sogenannte Kernschmelze ein.

Bei der Kernschmelze erhitzen sich die Brennstäbe im Kraftwerk so stark, dass sie schmelzen und die Gefahr einer Explosion besteht. Diese trat im amerikanischen Kraftwerk aber nicht ein. So blieben die Gefahren durch austretende radioaktive Substanzen für die Bevölkerung relativ gering.

Super-GAU = AKW außer Kontrolle

Ist eine Reaktorkatastrophe dagegen nicht mehr beherrschbar, spricht man von einem Super-GAU. Im April 1986 trat er in Tschernobyl in der heutigen Ukraine ein. Während eines Experiments geriet Block 4 des Atomkraftwerkes außer Kontrolle. Die Hitze verbog Metall und Reaktorstäbe und der Kern konnte nicht mehr gekühlt werden.

Der offiziellen Version zufolge führten eine Reihe menschlicher Irrtümer zum Unfall. So wollten die Techniker des Kraftwerkes am Tag des Unglücks einen Turbinentest bei noch laufenden Reaktoren durchführen und legten dafür das automatische Steuerungssystem und die Notkühlung still.

Wie zuvor in "Three Mile Island" kam es zur Kernschmelze. In Tschernobyl konnte die Situation aber nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden. Durch die folgende Explosion gerieten innerhalb des Reaktors 1500 Tonnen Graphit in Brand. Das Kraftwerk besaß keine Schutzhülle um das Reaktorgebäude, die möglicherweise das Austreten radioaktiven Materials hätte verhindern oder begrenzen können.

Statt dessen riss ein regelrechter Feuersturm radioaktive Materialien kilometerhoch in die Atmosphäre, wo sie von starken Winden erfasst wurden. Die radioaktive Wolke verteilte verseuchtes Material über weite Teile Europas.

Nach Schätzungen wurden 600.000 Menschen einer starken Strahlenbelastung ausgesetzt, unter den Bergungsmannschaften gab es rund 7000 Tote. 125.000 Helfer erkrankten nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schwer. Ein Gebiet halb so groß wie die Bundesrepublik wurde in der Ukraine, Weißrussland und Russland verseucht. 375.000 Bewohner mussten umgesiedelt werden. 3,5 Millionen Menschen sind allein in der Ukraine offiziell als Opfer des Unglücks registriert.

Die Bezeichnungen GAU und Super-GAU stammen aus den 1960er-Jahren und sind mittlerwerile überholt. Seit 1990 existiert die Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse, die Störfälle und Atomunfälle genauer klassifiziert. Die Skala reicht von Stufe 0 bis Stufe 7. Stufe 0 bezeichnet ein Ereignis ohne oder mit nur geringer sicherheitstechnischer Bedeutung.

Die Stufen 1 bis 3 bezeichnen Störfälle von gering bis ernst. Die Stufen 4 bis 7 beschreiben Unfälle verschiedener Intensität. In die höchste Stufe wurden bisher nur zwei Unfälle eingruppiert: Die Zerstörung des Kernreaktors von Tschernobyl 1986 und die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011.

Luftaufnahme des zerstörten Reaktorblocks des ukrainischen Atomkraftwerks in Tschernobyl (Aufnahme von 1986).

Tschernobyl kurz nach dem Super-GAU 1986

(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 13.12.2021)

Quelle: WDR

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